Rollstuhlbasketball wird aus dem Programm der Paralympischen Spiele 2024 in Paris genommen – ein Traumzerstörer für alle Nachwuchsspieler. Rollstuhlbasketball in Tokio 2020 steht auf der Kippe – ein auf die Basketball-Welt losgelassener Unruhestifter und Beunruhiger ohne Gleichen. Die Presse berichtet über diese Themen, noch bevor das IPC die vorgenannten Informationen über eine offizielle Mitteilung kommuniziert. Für mich: Ein Vertrauensbruch des IPC und Schlag ins Gesicht aller Athleten. Ein Punkt, liebe Leserinnen und Leser, auf den in zu Beginn etwas ausführlicher eingehen werde.
Was war passiert? Die britische Zeitung „The Telegraph“ berichtete am 30. Januar exklusiv über den Ausschluss des Rollstuhlbasketballs aus dem Paralympischen Programm. Und zwar exakt einen Tag bevor das IPC am 31. Januar die IWBF, die Athleten, die Partnerverbände und Sponsoren über den Sachverhalt per offizieller Mitteilung informierte. Auf die Frage hin, wie sich das IPC diese zeitliche Informationslücke erklärt, folgt – natürlich – ein in Worte gepacktes Schulterzucken. Das IPC kann sich nicht erklären, wie die Information in die Hände des Telegraph geraten ist. „Wir sollten doch direkt mal bei der Zeitung nachfragen“, so die Antwort auf unsere Interviewfrage. Nun, jeder halbwegs gebildete Mensch weiß, und dazu reicht das Anschauen des sonntäglichen Krimis, dass die Presse ihre Quellen schützt. Wieso sollte der Telegraph uns verraten, wer ihm die Info gesteckt hat? Diese Information ist auch unerheblich. Erheblich ist hingegen, dass – auf welchem Weg auch immer – der Presse vertrauliche resp. unveröffentlichte Informationen gesteckt wurden. Und: Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass das IPC (lt. Interview-Antwort) alle Informationsempfänger am 31. Januar um Geheimhaltung bis 12.00 Uhr mittags bat. Zur Erinnerung: Die News hatte „The Telegraph“ bereits einen Tag zuvor als Exklusivmeldung veröffentlicht.
Jetzt mag es Menschen geben, die darin kein Problem oder eine Marginalie sehen, lesen wir doch oftmals exklusive und brandheiße News in der Zeitung, und zwar noch bevor die Neuigkeit durch den Urheber kommuniziert wird. Nahezu unbestreitbar ist, dass es innerhalb des IPC ein Informationsleck gibt, das entweder dem Telegraph selbst oder einem Dritten Informationen zugespielt hat. Nicht schlimm? Mitnichten! Wie kann ich einem Verband als Sponsor oder Athlet trauen, der sich auf der einen Seite zum Moralapostel, Zeigefingerschwenker und Sportlerschützer in puncto Doping in Russland aufschwingt, und auf der anderen Seite ein Leck in der Organsiation sein Eigen nennt. Eine Institution, die Dritten – noch vor den eigenen Athleten und Partnerverbänden – elementare Informationen zukommen lässt, von denen nicht einmal die später Betroffenen wissen? Wie das IPC wohl reagieren würde, wenn es zuerst aus der Presse erfährt, dass ein Großsponsor sein Engagement beenden wird?
Das Traurige an dieser Seite des IWBF-IPC-Streits ist, das es innerhalb des IPC scheinbar jemanden gibt, dessen Geltungsbedürfnis größer ist, als das Wohl der Sportler. Wie kann ich in Zukunft sicher sein, dass nicht noch weitere, sensible Informationen geleakt werden? Wie z. B. kurz vor dem Abschluss stehende Sponsorendeals oder vertrauliche Informationen über Athleten? Ich sehe es aktuell nicht.
Über die Antworten des IPC und der IWBF auf unsere Fragen mag sich jeder sein eigenes Bild machen. Während ich auf der einen Seite Verständnis dafür habe, dass sich der Paralympische Weltverband – aufgrund eines laufenden Streits – schmallippig gibt, vermisse ich auf der anderen Seite zuversichtliche und versöhnliche Worte bzw. ein „Aufeinander zugehen“. Statt als IPC die Muskeln spielen zu lassen und aus einer Position der Stärke zu argumentieren, hätte ich mir eine schriftlich fixierte und angedeutete Handreichung gen IWBF resp. ein bisschen mehr Sportsgeist und Demut gewünscht. Stattdessen wird der raue Ton der offiziellen Mitteilung eins zu eins kopiert. Eine vergebene Chance, die Stimmung in der Szene aufzuhellen.
Diese Vorabinformation zeigt aber, wenn auch in einem ausbaufähigen Ton, dass der Konflikt aus der Welt geräumt werden kann. Sich die aktuelle von Arzt-zu-Arzt-Hetzerei der 4,0- und 4,5-Spieler am Ende positiv auszahlen kann, wir alle in Tokio Rollstuhlbasketball sehen werden.
Aber auch der IWBF muss sich – gerade was die generelle Mitsprache der Athleten betrifft – an die eigene Nase fassen. Ulf Mehrens & Co. dürfen die Sportler nicht als “nörgelnde Gewerkschafts- oder Betriebsratsmitglieder” sehen, die jede Entscheidung nervig hinterfragen. Vielmehr erweitert ein auf Augenhöhe und durchaus kritischer geführter Dialog den eigenen Meinungs- und Ideenhorizont, der letztlich der Sportart und deren Entwicklung bzw. Evolution dienlich ist.
Gebracht, so meine Meinung, hat dieses wie Schattenboxen anmutende Schauspiel zwischen dem IPC und dem IWBF letztlich niemanden etwas. Eher im Gegenteil, hat es dem Sport und der Vertrauenswürdigkeit des IPC geschadet. Man möge sich nur vorstellen, das IPC hätte eine andere, diplomatischere Salve gen IWBF abgefeuert. Ein politische Mitteilung, die den Kern transportiert, diesen aber anders verpackt hätte. Es wäre viel weniger Energie und Zeit auf allen Seiten verbrannt worden. Sei’s drum. Es ist wie es ist. Am Ende werden sich die Parteien mit Sicherheit einigen, da aktuell weder das IPC auf den Zuschauermagneten Rollstuhlbasketball, noch der Rollstuhlbasketball bzw. die IWBF, auf die an Fördergelder für die Nationalspieler und Verbände geknüpften Paralympics verzichten kann.
Text: Martin Schenk | Foto: Uli Gasper