„Wichtig ist auf dem Platz“, ist ein bekannter und bewährter Spruch, und wenn man sich umschaut, was in der laufenden RBBL-Saison schon so alles los war, gibt es sicherlich den Einen oder Anderen, der sich das mehr oder weniger laut gedacht hat. Wir hatten turbulente Spiele wie selten zuvor: Beim Sieger hat meist „die Mannschaftsleistung“ den Erfolg gebracht, auf der anderen Seite hat nicht selten „der Trainer“ das Spiel verloren. Und das ist nicht allein Sache der Fans und Öffentlichkeit: Die erste Frage, die ich mir bei jeder Niederlage stelle, ist: „Habe ich alles getan, was ich tun konnte?“
Ich will heute ein bisschen hinter die Kulissen des Trainer-Daseins schauen, weil ich glaube, dass es gar nicht so leicht ist zu verstehen, was wir so machen und welchen Einfluss wir auf das Spiel nehmen können. Und das fängt direkt bei der Motivation an – warum macht man das überhaupt? Spötter sagen gerne: „Weil Du zu alt bzw. zu schlecht für’s Spielen bist!“ – ich würde sagen: „Weil ich glaube, eine Idee zu haben, wie man Rollstuhlbasketball spielen kann und ich Lust darauf habe, Spieler und Spielerinnen so auszubilden, dass sie das auf das Spielfeld bringen.“ Der Grundstein dafür ist – wie bei den meisten anderen – biographisch gelegt: Kennt Ihr den „Trainer“, der am Anfang der Trainingseinheit sagt: „So, wir machen zehn erfolgreiche Korbleger, und dann zocken wir“? Hat bestimmt jeder mal erlebt, aber hoffentlich in der Vergangenheit…
Das Spiel beeinflussen
Ich will das Feld vom Coaching und der Spielsituation her aufrollen, um dann am Ende noch ein bisschen was zum Training zu sagen. Ich glaube inzwischen, dass man als Trainer nur ganz wenige Möglichkeiten hat, das Spiel zu beeinflussen, während es läuft. Beim Rollstuhlbasketball sind es wesentlich weniger als im Fußgängerbereich, und das wäre mein erster Punkt, weil die Klassifizierung beim Wechseln mitmischt und man nicht selten sehr gute Spieler für weniger gute auf die Bank setzen muss, weil die „Punkte“ sonst nicht aufgehen. Ebenso will man auch nicht allzu unterpunktig spielen, weil man dann schnell körperlich ins Hintertreffen gerät. Wechseln ist – gerade unterhalb der RBBL – oft mehr Kompromiss als taktisches Mittel, den man kann oftmals nur in Zweier- oder Dreiergruppen wechseln.
Zweitens sind die Momente, in denen man mit der Mannschaft reden kann – einer vor dem Spiel, für den Gameplan. Da ist es ruhig, die Spieler sind ohne körperliche Belastung. Trotzdem muss hier alles passen, denn die Mannschaft soll die wichtigen Botschaften und Aufgaben mit ins Spiel nehmen, aber möglichst wenig gedanklichen „Ballast“ dazu zu nehmen – das gilt auch für den Job, den ich bei der Nationalmannschaft in der Videoanalyse mache: Alle Botschaften müssen klar verständlich, kondensiert genug und vor allem handlungsorientiert sein. „Normalerweise stehst Du in Situation X immer falsch, achte drauf, dass Du das besser machst“ ist übrigens keine solche Ansprache – „nimm Deinen Gegner so aus, dass Du mit dem Rollstuhl bereits in seiner Fahrtrichtung stehst“ wäre richtig.
Hat das Spiel erstmal angefangen, gibt es noch (meistens) drei Viertelpausen von zwei Minuten, fünf eigene Auszeiten, deren Timing man selbst steuern kann, und fünf Auszeiten des Gegners, deren Timing nicht absehbar ist (und ob sie überhaupt genutzt werden). Klingt erst einmal viel, aber die meisten dieser Gelegenheiten kann man als Trainer nicht länger als wenige Sekunden planen: Wann habe ich sie, was sage ich, wem sage ich ich etwas? Zudem fällt ein nicht geringer Teil dieser wertvollen Sekunden weg, bis alle Spieler angekommen sind, etwas getrunken haben und ausreichend erholt, um aufmerksam zuzuhören. Als Anfänger ist man nun geneigt, eine Minute alles zu reden, was man kann – nur um bitter zu lernen, dass man lediglich eine, maximal zwei Botschaften vermitteln kann. Und damit gehen die Spieler zurück auf’s Feld.
Das klingt nun ziemlich finster, was? Es gibt drei Möglichkeiten, wie man damit umgehen kann: Resignieren, wenn die fünfte Auszeit weg ist, ständig in der Coaching-Box rumspringen und alles auf dem Feld laut brüllend kommentieren, oder aber eine kluge Mischung aus allem finden.
Grundzüge im Training wiederholen
Der Schlüssel liegt im Training – und damit sind wir beim zweiten Teil, den ich Euch angekündigt habe. Ich bin der Meinung, dass eine Mannschaft nur das im Spiel abrufen kann, was sie im Training ausreichend eingeübt hat und kennt. Entsprechend wähle ich persönlich meine Sprache im Spiel – in den Auszeiten wie bei dem, was ich ins Spiel hineinrufe. Ich will Automatismen auslösen, vertraute Dinge wieder aufrufen – jeder Spieler sollte ohne großes Nachdenken sofort wissen, was ich von ihm will. Wenn Ihr eine Mannschaft trainiert, macht solche „Grundzüge“ Eures Spiels klar, übt sie immer wieder ein und sprecht klar darüber – dann könnt ihr hoffen, das 80%, vielleicht auch 100% davon im Spiel funktionieren.
Und damit sind wir wieder bei meiner Anekdote vom Anfang: in den letzten zehn Jahren ist in Deutschland eine Menge passiert, damit jede Mannschaft einen ausgebildeten Trainer hat und dieser tatsächlich auch Ahnung von der Sache hat. Aber damit ist noch nicht gesagt, dass die Mannschaften auch sinnvoll und zielgerichtet trainieren. „Aufwärmen und Zocken“ ist hoffentlich nicht mehr der Standard, denn die Frage, ob der Coach im Spiel überhaupt irgendetwas beeinflussen kann, fängt eben schon dabei an, ob überhaupt irgendetwas systematisch trainiert wird. Und das ist weniger „Geweine“, sondern vielmehr ein Appell an meine Trainerkollegen: Wenn Euer normaler Trainingsplan etwa so lautet: „ a) Korbleger, b) evtl. Werfen, c) Zocken“, dann solltet ihr Euch einen weiteren Punkt auf die Liste der guten Vorsätze schreiben.
Rollstuhlbasketball ist – vor allem unterhalb der RBBL nämlich fast eine Art „Labor“ für das Coaching: Wir haben knapp über 1000 aktive Spieler und etwa 130 Mannschaften in den Ligen – zwischen Elitelevel und den Einsteigern liegen nur zwischen vier und sechs Stufen im Ligasystem. Breitensport und Leistungssport liegen extrem dicht zusammen und überschneiden sich bereits in den 2. Bundesligen, ganz sicher aber in den Regionalligen schon ganz erheblich. Damit geht einher, dass selbst leistungsorientierte Spieler oft nur einmal, maximal zweimal in der Woche in die Halle gehen (können) – abzüglich der Ferien- und Schließungszeiten bleiben da pro Jahr gerade einmal 40 Termine. Andere – eher breitensportlich Orientierte – sind mit diesem einem Training pro Woche sogar sehr zufrieden, und beide zusammen spielen in derselben Mannschaft…
Training ist nichts anderes als Lernen
Training ist nun aber vereinfach gesagt nichts anderes als Lernen – und zwar sowohl geistig wie auch körperlich: Beim Training üben wir Spielsituationen (bzw. Belastungen) ein, damit die Kompetenzen (bzw. körperlichen Voraussetzungen) dann im realen Spiel wie automatisch abgerufen werden können. Das braucht Wiederholung, und mit den 40 Trainingseinheiten, die wir eben gerade errechnet haben, kommt man da nicht allzu weit. Mit einer Wurfmaschine kann man 500-1000 Würfe pro Stunde nehmen – wenn man die Schmerzen in den Armen erträgt – bei einem Training pro Woche und (manuellen) Würfen braucht man für diese Anzahl ein Vierteljahr, oder man muss bereit sein „the extra mile“ zu gehen und sich außerhalb der Zeit an den Korb stellen.
Was bedeutet das für uns als Trainer – für mich und für Euch, die sich vielleicht für Coaching interessieren? Ich würde Euch raten, mal über folgende Fragen nachzudenken:
Haben wir als Mannschaft klare und konkrete Ansagen, wie wir spielen wollen, was wir gemeinsam auf dem Feld tun und lassen wollen?
Nutze ich die Zeit effektiv genug, um unter den gegebenen Bedingungen meine Spieler voranzubringen und mit ihren diese Prinzipien anhand konkreter Dinge einzuüben?
Geht mein Plan ausreichend gut auf die unterschiedlichen Niveaus, Fähigkeiten und Kompetenzen meiner Spieler ein?
Verfolge ich unter den Rahmenbedingungen, die ich habe, realistische und erreichbare Ziele?
Jetzt bin ich relativ weit weg von der Überschrift und der Frage, ob in der Person des Trainers da nicht der Bock zum Gärtner gemacht wurde – vielleicht habe ich Euch aber schon ein paar Gedanken mitgeben können, damit Ihr Euch selbst eine Meinung bilden könnt. Über die Person der Coaches an sich und welche Perspektive sie auf das Spiel haben, sollte ich wohl in einer der nächsten Wochen mal schreiben: Daraus erklären sich nämlich viele unterschiedliche Ansichten, denn vieles, vielleicht sogar alles, hängt davon ab, von wo man ein Spiel sieht (aus dem Sitzen, aus dem Stehen, auf dem Spielfeld, in der Coaching Box, von der Tribüne).
Daniel Stange ist Rollstuhlbasketballer seit 1998. Zu seinen Stationen zählen der RSV Lahn-Dill und die SG/MTV Braunschweig. Der C-Lizenz-Trainer war u.a. hospitierendes Mitglied im Coaching Staff der Herren-Nationalmannschaft für die EM 2011 sowie Assistenztrainer für die Herren-Nationalmannschaft 2013. Schwerpunktthemen: Spielanalyse, Videoanalyse und Scouting. Im normalen leben ist Daniel Stange Historiker und freiberuflicher Journalist. Für Rollt. bloggt er in der Kategorie “Pick and Rollt.” %CODE1%
Fotos: RSV Lahn-Dill // Harald Appel // Rollin Chocolate