Interview mit Mirko Korder: „Beide haben einen großartigen Charakter und brennen für den Sport.“

Was selbst die größten Optimisten in und um Wiesbaden nicht mehr für möglich hielten, hat sich diese Woche realisiert: Die beiden türkischen Nationalspieler Kemal Kaan Safak (4,0) und Uğur Toprak (3,0) werden in dieser Spielzeit noch ins Jersey der Rhine River Rhinos schlüpfen. Im Interview gibt der Geschäftsführer der Wiesbadener Korbjäger, Mirko Korder, tiefe Einblicke in den kräftezehrenden Transfer, sein persönliches Verantwortungsbewusstsein sowie die neuen sportlichen Optionen in der hessischen Landeshauptstadt.

 

Mirko, Kaan und Uğur kommen jetzt doch noch nach Deutschland. Kannst du uns kurz an die Hand nehmen, wo die Herausforderungen in den letzten Wochen lagen?

Das war unser erster Transfer mit türkischen Spielern. Die Selbstverständlichkeit, mit der wir Personen aus der Türkei hier in Deutschland begegnen, habe ich naiverweise auf diesen Transfer übertragen. Ich dachte nicht im Traum daran, dass eine Visabeantragung für eine türkischstämmige Person derart kompliziert werden könnte. Schließlich mussten wir lernen, dass schon die Terminvergabe für das deutsche Konsulat in Istanbul, an ein externes Unternehmen outgesourct ist und mehrere Monate dauern kann. Hinzu kamen Meldungen aus der Presse, dass es gerade im letzten Jahr zu massiven Verzögerungen kam, die noch mit Folgen der Pandemie zu tun hatten. Das war dann auch bei uns der Fall. Im Juli 2022 wurde ein Termin beantragt – und erst im November 2022 kam es schließlich dazu, dass Kaan und Uğur erstmals ihre Visabeantragungsunterlagen einreichen konnten.

 

Wie ging’s weiter?

Mitte Dezember kam die langersehnte Entscheidung, jedoch anders als wir uns dies erhofft hatten …

 

Berichte bitte.

Nun, die Visaerteilung für beide Sportler wurde zunächst – aufgrund einer für uns vollkommen unverständlichen Begründung – abgelehnt. Deswegen haben wir ein Widerspruchsverfahren, eine sogenannte Remonstration, eingeleitet. Dies führte dazu, dass der Vorgang nochmal neu bewertet wurde, jedoch laut rechtlich erlaubten Rahmen auch Monate in Anspruch hätte nehmen können. Glücklicherweise erhielten die beiden kürzlich die erfreuliche Mitteilung, dass einer Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis zugestimmt wurde.

 

Hand aufs Herz: Wie sieht es in dir aus, nachdem jetzt klar ist, dass die beiden für die Rhinos auflaufen werden?

Sowohl die Last, die einen von den Schultern fällt, als auch die Freude, ist einfach unglaublich groß. Nicht nur aus sportlichen Gründen. Dass die beiden eine sportliche Bereicherung sein werden, war ja ohnehin klar, sonst hätten wir uns nicht für sie entschieden. Durch die enge Kommunikation in den letzten Monaten, und dadurch, dass wir einiges gemeinsam durchmachen mussten, hat man sich auch menschlich besser kennengelernt. Beide haben einen großartigen Charakter und brennen für den Sport. Für uns alle war es eine Herzensangelegenheit, dass sie in Deutschland bei den Rhinos spielen.

 

Was erwartest du von beiden auf und abseits des Parketts?

Ein professionelles Rollstuhlbasketball-Mindset, Loyalität, Teamgeist, Leidenschaft und Siegeswille. Beide wissen, dass von ihnen und allen anderen im Team erwartet wird, dass sie stets hart arbeiten und im Training alles geben. Sie möchten, genau wie wir alle, irgendwann um die Meisterschaft spielen.

 

Und welchen Einfluss wird das Duo auf das Team haben?

Kaan habe ich schon seit 2016 im Blick, er ist damals bei einem Eurocup-Turnier ins All-Star-Team gewählt worden und seitdem verfolge ich seine Karriere, in der er es bis in die türkische Nationalmannschaft geschafft hat.

 

Was zeichnet ihn aus?

Er ist nervenstark, variabel, ein stabiler Punktegarant und sein schnelles Spiel passt unheimlich gut zu uns.

 

Und Uğur?

Uğur ist mir das erste Mal im Dress der türkischen Nationalmannschaft bei den Paralympics 2016 aufgefallen. Er hat seitdem eine unglaubliche starke Entwicklung vollzogen.

 

Inwiefern?

Er ist ein gefährlicher Schütze, der mit einem guten Ballhandling ausgestattet ist. Er besitzt eine super Spielübersicht und einen hohen Basketball-IQ. Meiner Meinung nach gehören Uğur und auch Kaan zu den besten Spielern der Welt in ihrer Punktekategorie. Beide spielen Rollstuhlbasketball mit einer ansteckenden Leidenschaft. Abseits all dieser Aspekte können wir ab sofort wieder regelmäßig auf Wettkampfniveau 5-gegen-5 im Training spielen. Sprich wir werden den Leistungsdruck während der Spieltage auf mehr Schultern verteilen können. Dies ist eine enorme Bereicherung für das Team.

 

Ganz ehrlich: Wie viel Kraft hat dich dieser Transfer gekostet?

Es hat eine Menge Kraft gekostet. Schließlich geht es hier um Menschen und deren Leben, die wir mit unseren Entscheidungen massiv beeinflussen.

 

Kannst du das näher erläutern?

Klar. Ich habe beiden vor Vertragsunterschrift das Versprechen gegeben, dass wir die Visa hinbekommen. Und gerade unser Wort ist mir in der Arbeit für die Rhine River Rhinos heilig. Ich möchte, dass sich Menschen, ob Partner oder neue Spieler, stets auf unser Wort verlassen können und wir dafür in der Szene auch bekannt sind. Es gibt schon genug Verantwortliche in der internationalen Rollstuhlbasketballszene, die den Spielern für einen erfolgreichen Abschluss das Blaue vom Himmel versprechen und ihr Wort nicht halten. Deswegen haben wir alles in unserer Macht Stehende getan, um die beiden nach Deutschland zu holen.

 

Zum Beispiel?

Wir haben Bundestagsabgeordnete kontaktiert, die sich in der Sache für uns eingesetzt haben. Es gingen zig E-Mails und Anrufe an das Konsulat sowie den Generalkonsul, bis hin zu Kontakten und Gesprächen mit der Botschaft.

 

Du nimmst deine Verantwortung sehr ernst.

Definitiv. Wir sind ja nicht nur den Neuverpflichtungen gegenüber verantwortlich, sondern auch dem kompletten Team. Die Spieler bzw. der Trainer haben sich unter der Voraussetzung für uns entschieden, dass wir einen 10er-Kader haben werden. Wir sind den Sponsoren, jedem Mitarbeiter und den Ehrenamtler gegenüber verantwortlich, unsere Entscheidungen sorgfältig und wohlüberlegt zu treffen.

 

Es gab mit Sicherheit auch Gegenwind, oder?

Ja. Dass ich so lange an dem Transfer festgehalten habe und wir uns nicht etwa für alternative Neuzugänge entschieden haben, hat natürlich dafür gesorgt, dass kritische Stimmen lauter wurden. Gerade in solchen Situationen ist es zugegebenermaßen unheimlich schwer, Souveränität und Selbstsicherheit auszustrahlen sowie an unpopulären Entscheidungen festzuhalten. Ich war jedoch, damals wie heute, fest davon überzeugt, das Richtige zu tun. Abschließend möchte ich noch ein Dank loswerden, wenn ich darf?

 

Sehr gerne.

Ein dickes Dankeschön geht an Bahri Aksoy vom Türkischen Sportverein in Wiesbaden, der uns beim Beantragungsprozess geholfen und mit Übersetzungen tatkräftig unterstützt hat. Er war eine riesige und unschätzbare Hilfe.

 

Danke für die persönlichen Einblicke, Mirko.

 

Interview: Martin Schenk | Foto: Steffie Wunderl

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