“So jung kommen wir nicht wieder zusammen”, war und ist es in Freundeskreisen des Öfteren zu hören. Gleiches gilt für die Recken der Nationalmannschaft. Das starke und in der Vorbereitung glänzende Team Germany der Herren hat im Viertelfinale nicht nur die riesige Chance auf eine Medaille verspielt, sondern auch die Möglichkeit verpasst, sich einen persönlichen (Lebens-)Traum zu erfüllen; sich selbst für die harte Arbeit, den Schweiß und eine starke Mannschaftsleistung während des Turniers zu belohnen. Am Ende sprang Rang 7 für Haller, Bienek & Co. heraus.
Die Viertelfinal-Niederlage gegen das spanische Kollektiv, das in vier Vorbereitungsspielen dreimal bezwungen wurde, geht zum Großteil auf die Kappe des Bundestrainers. Wie schon auf Teneriffa während der EM 2017, ließ Zeltinger den Stuhl Garcias nachmessen. Dies ist sein gutes Recht. Was auf den Kanaren noch funktionierte, mutierte im wichtigsten Spiel des Jahres zum Rohrkrepierer. Technisches Foul gegen den Coach. Die spanische Bank eskalierte, münzte Häme in positive Energie um. Garcia verwandelte den Freiwurf, hieb sich auf die stolzgeschwollene Brust und zeigte nach dem Korberfolg mit dem Finger Richtung deutscher Bank – und gen Zeltinger. Danach netzte Garcia 7 Punkte in Folge ein. Das Stuhlvermessen avancierte zum Neckbreaker für das Team Germany. Emotionen, Wille und Leidenschaft gewinnen wichtige Spiele – und nicht Psycho-Spielchen bzw. eins, zwei Zentimeter Unterschied in der Stuhlhöhe, die in den letzten Minuten eines Paralympics-Viertelfinale festgestellt werden. Was sich Zeltinger bei der Aktion gedacht hat bleibt sein Geheimnis. Die Entwicklung der Zeltinger’schen Sympathiewerte in Spanien werden sich nach dem neuerlichen Stuhl-Schachzug wie der Aktienkurs der Wirecard-Aktie entwickeln: massiv bergab.
Dass Garcia und das spanische Staff nicht so blöd sind, nach 2017, denselben Fehler nochmal zu begehen, hätte auch Nic Zeltinger einleuchten müssen. Und wenn schon den Hochleistungsstuhl vermessen, warum dann nicht in oder kurz nach der Halbzeit? Allein dem Kampfgeist des Teams war es zu verdanken, dass die deutsche Equipe noch einmal auf drei Punkte an die Iberer rankam und mit dem letzten Wurf die Option auf weitere 5 Minuten hatte. Nicht auszudenken, was machbar gewesen wäre, hätte der Bundestrainer statt des Stuhlvermessens aufmunternde und befreiende Worte im letzten Viertel gefunden oder das „T“ für eine emotionale Explosion an der Seitenlinie kassiert. Zeltinger pokerte und agierte außerhalb seines eigenen Einflussbereichs. Statt sich auf sich und die vorhandene Stärke seiner Equipe zu fokussieren, versuchte er den Gegner zu manipulieren. Er widmete und projizierte seine Kraft im entscheidenden Moment auf den Gegner und nicht auf sich und die Menschen, die in diesem so wichtigen Augenblick seine volle Aufmerksamkeit verdient hätten.
Natürlich wirft nicht der Trainer die Körbe. Dies machen die Spieler, die einige Chancen ungenutzt ließen. Es ist aber der Dirigent des Orchesters, der für das Zusammenspiel, den Takt und die Performance zuständig ist. Wir alle wissen, das auch die großartigsten Dirigenten Fehler machen. Meister ihres Fachs übernehmen Verantwortung, betreiben Selbstanalyse. Aber wie schon nach dem blamablen WM-Aus 2018, wird, so meine Prognose, öffentlich nichts zu hören und zu lesen sein. Wieso auch. Schließlich wird in zwei Wochen kein Aas mehr über Tokio sprechen, richten sich doch die Blicke gen Madrid zur EM. Und unter uns: Wer glaubt denn allen Ernstes, dass der schon in der Causa Martin Otto wortkarge und schmallippige DBS als Zeltinger-Arbeitgeber irgendetwas unternehmen wird? Keiner. Aus diesem Grund wird in Rollstuhlbasketball-Deutschland alles seinen gewohnten und eingerollten Weg gehen.
Text: Martin Schenk | Foto: Uli Gasper