Die Kapitänin der deutschen Rollstuhlbasketball-Nationalmannschaft, Mareike Miller, spricht im Interview über die heute veröffentlichten Mitteilungen des IPC und der IWBF, die sich daraus ergebende Ungewissheit für viele Rollstuhlbasketball-Spieler sowie den potenziellen Imageschaden für alle Beteiligten.
Mareike, das IPC hat Rollstuhlbasketball aus dem paralympischen Programm für das Jahr 2024 in Paris genommen. Und ob in Tokio Rollstuhlbasketball gespielt wird, ist auch fraglich. Wie ging es dir heute Mittag, als du offiziell davon erfahren hast?
„Wie vermutlich alle anderen Athleten auch, war ich schockiert, dass zu einem solchen Zeitpunkt, also gerade einmal sieben Monate vor Beginn der Spiele in Tokio, eine derartige Pressemitteilung inklusive enthaltener Drohungen veröffentlicht wurde. Hier muss wirklich Unglaubliches vonstattengehen, dass wir Athleten über Pressemitteilungen vor vollendete Tatsachen gestellt werden.“
Das heißt?
„Dass wir aktuell selbst nicht wissen, was überhaupt los ist, was uns erwartet und womit wir rechnen können bzw. müssen.“
Bevor wir weitersprechen: Kannst du die Fans kurz abholen, um was es dem IPC eigentlich geht?
„Das IPC hat Regularien, die für die Paralympischen Spiele die Rahmenbedingungen festlegen.“
Welche sind das?
„Dies ist unter anderem der Code of Classification, der dem grundsätzlichen Prozedere der Klassifizierung einen Rahmen in Hinblick auf Ablauf, Formalien und auch Inhalte setzt. Dabei geht es um einen sportartenübergreifenden Standard. Dieser Standard besagt z. B., dass bei allen Behinderungen medizinische Unterlagen vorgelegt und das Klassifizierungsprozedere mit allen Unterlagen dauerhaft gespeichert werden muss. Soweit mir bekannt, ist das im Rollstuhlbasketball für etliche Klassifizierungen nicht zwingend der Fall bzw. muss überhaupt etwas eingereicht und gespeichert werden. Insofern harmoniert das nicht. Ich vermute daher, dass es um einige dieser Details geht, die sich aus den unterschiedlichen Dokumenten beider Verbände herauslesen lassen. Worum es dem IPC allerdings geht, wenn sie uns Athleten auf diesem Wege über einen etwaigen Paralympics-Ausschluss informieren und die Sportler mit solchen Deadlines erschrickt, kann ich nicht nachvollziehen und enttäuscht mich persönlich sehr.“
Und welche Meinung vertritt die IWBF?
„Das kann ich nicht sagen.“
Sondern?
„Seit November versuche ich mit dem IWBF in den Dialog zu treten. Ich habe, mit der Unterstützung der für Tokio qualifizierten Athletenvertreter, um ein Mitspracherecht unserer Athleten gebeten.“
Was war die Antwort?
„Ein eher unspezifischer Brief, der den Sportlern keine Einblicke oder konkreten Austausch ermöglicht respektive angeboten hat. Er diente, so mein Gefühl, eher dazu, die Gemüter ein wenig zu beruhigen.“
Ich habe heute auch mit Rollstuhlbasketball-Sponsoren telefoniert, die nicht erbaut über die Situation waren.
„Ja, das ist absolut nachvollziehbar. Genauso wie wir Sportler durch die Nachricht überrascht wurden, ist es für alle weiteren Beteiligten natürlich völlig unverständlich und kommt aus dem Nichts. Es kommt vollkommen unerwartet, so dass sich zeitnah kaum etwas ändern lässt und gleichzeitig auch keiner so richtig weiß, was überhaupt los ist.“
Als Nationalspielerin bekommst du auch eine finanzielle Förderung. Hast du Angst diese zu verlieren?
„Nun, mir ist aktuell nicht bekannt, dass sich an meinem Status als Nationalspielerin etwas ändern kann. 2015, während meiner Verletzungspause, war ich dies nicht und habe entsprechend auch keine Förderung erhalten. Zudem kann es auch so jederzeit passieren, dass man nicht in den Kader benannt wird. In allen Fällen ist also das gewöhnliche Prozedere: Keine Nationalspielerin, keine Förderung.“
Hat sich das Szenario deiner Meinung nach angebahnt?
„Die heute veröffentlichten Pressemitteilungen des IPC und der IWBF sagen ja, dass die Themen seit einiger Zeit bekannt sind, besprochen bzw. angesprochen wurden. Beide wussten schon länger, dass sich etwas ändern muss. Leider wurden diese Probleme innerhalb des Rollstuhlbasketballs nicht so kommuniziert, dass wir Sportler dies hätten erahnen können. Ich persönlich habe Ende 2019 eher zufällig von diesem Thema gehört. Jedoch konnte ich, ohne vollständige und offizielle Informationen, die Sachlage oder den Ernst der Thematik und die zur Debatte stehende Bedeutung für unsere Sportart weder absehen noch vollumfänglich einschätzen.“
Teilst du mit mir die Meinung, dass die komplette Kommunikation zu einem Imageschaden für den Rollstuhlbasketball und alle beteiligten Parteien geführt hat?
„Ich bin der Meinung, dass diese Situation auf vielen Wegen unserem Sport schadet. Und ich bin zutiefst enttäuscht, dass es überhaupt so weit gekommen ist, dass öffentlich ein Streit ausgetragen wird. Ich kann nicht einschätzen, was letztlich dazu geführt hat, aber ja, um auf deine Frage zurückzukommen: Ich glaube nicht, dass die aktuelle Gemengelage das Image des Rollstuhlbasketballs und des paralympischen Sports aufwertet.“
Was sagen andere Athleten oder der Bundestrainer? Konntest du schon mit jemanden sprechen?
„Ich habe mit niemandem gesprochen, der nicht entsetzt, schockiert oder verärgert war. Die meisten sind allerdings vor allem völlig verwundert und würden die Situation gerne vernünftig verstehen. Alle ärgern sich insbesondere über fehlende Informationen.“
Fühlst du dich als 4,5-Punkte-Spielerin und Paralympics-Siegerin 2012 nicht auch ein bisschen “diskriminiert” bzw. an den Pranger gestellt?
„2012 bin ich Paralympics-Siegerin geworden. Genauso wie alle anderen, die damals dabei waren. Die Mannschaft aus London hat sich seiner Zeit an alle Regeln gehalten. Dementsprechend wird keine der Spielerinnen, auch ich nicht, dazu neu beurteilt werden. Die Änderungen und neuen Regeln, die angedacht sind, betreffen zukünftige Wettkämpfe. Das Einzige, indem ich mich „diskriminiert“ fühlen kann, ist, dass ich als aktive Athletin keinerlei Informationen zu den Änderungen vor den in weniger als sieben Monaten anstehenden Paralympics bekomme.
Was erwartest du vom DRS bzw. dem nationalen IPC?
„Ich freue mich über das große Vertrauen und die Unterstützung des Nationalen Paralympischen Komitees – dem DBS e. V. Im Rahmen meiner Tätigkeit als Aktivensprecherin habe ich einen super Austausch und erfahre eine gute Unterstützung. Ich bin mir sicher, dass der DBS alles in seiner Macht stehende tun wird, um uns in dieser schwierigen Situation zu unterstützen. Leider ist jedoch auch der DBS auf die Kommunikation und die erzielten Ergebnisse zwischen IWBF und IPC angewiesen. Ob der DRS, der seine Informationen bezüglich Paralympics offiziell vom NPC, also dem DBS bekommt, etwas tun kann, ist mir nicht bekannt.“
Mareike, vielen Dank, dass du dir kurzfristig die Zeit genommen hast und mir Rede und Antwort gestanden hast.
Interview: Martin Schenk | Foto: Steffie Wunderl