Heute geht’s wieder einmal um ein „Tribünen-Thema“, was ehrlich gesagt aber auch auf der Bank immer für rote Köpfe sorgt: Für viele Zuschauer ist nämlich klar: Wenn’s kracht, muss es ein Foul sein. Und spätestens wenn die Schiedsrichter dann mal pfeifen und mal nicht, werden die Augen immer größer und die Halsschlagader schwillt an.
Das wird in der Regel noch schlimmer, wenn man als Coach irgendetwas unternehmen muss und am Ende die taktischen Fouls als Ausweg braucht – das ist glaube ich das wunderbarste „Psycho-Pokerspiel“ in unserem Sport, aber ich hatte schon oft die aufgebrachten Zuschauer im Rücken, die skandierten „Was soll denn der Scheiß?“
Fouls und das Foulen – das ist Material für endlose Abhandlungen. Was ich ganz gezielt raushalten will: Das Lamentieren über und mit den Schiedsrichtern gehört aus meiner Sicht nicht dazu – das ist eine der ganz wenigen Sachen, bei denen ich böse werde, denn einerseits halte ich es für essenziell, dass die Referees genauso ihre Arbeit machen können wie wir unsere, und andererseits halte ich nicht davon, den Fokus auf das zu richten, was wir als Trainer oder Spieler am wenigsten beeinflussen können (bzw. durch respektloses Verhalten eher noch zu unseren Ungunsten verändern).
Und da kommen wir gleich zum ersten Punkt: Unser liebster Freund, das „T“, technisches Foul in der Sprache der Regeln. Manchmal will man es als Coach haben, um ein Signal zu setzen – dann zeichnet es sich in der Kommunikation mit den Schiedsrichtern ab, und dann ist es ein dramaturgisches Mittel, und es kann ebenso krass daneben gehen wie es auch einen „Wachmacheffekt“ haben kann. Aber ansonsten bekommt man sein „T“ eigentlich nur für Disziplinverstöße und andere Dummheiten („beliebt“ unter Coaches: Wechselfehler und Überschreiten der 14,5 Punkte, im Feld stehen, die Referees unangemessen anfassen). Seit das „Lifting“, das Abheben beider Hinterräder vom Spielfeld zur Erlangung eines Vorteil, eine eigene Kategorie Foul bekommen hat und nicht mehr in einem „T“ mündet, kann man getrost sagen: Die überwiegende Zahl der technischen Fouls läuft in der selben Kategorie wie das Falschparken auf einem Behindertenparkplatz oder in einer Feuerwehrzufahrt.
Der zweite und viel wichtigere Punkt: Jeder Spieler sollte im Verlauf seiner Karriere irgendwann einmal lernen – je früher, desto besser – wann und wie man richtig foult und wann und wie nicht. Ohne Fouls verteidigen zu können, ist nicht schwer. Wer zufrieden ist, als passives Hindernis zu warten, bis man selbst wieder werfen darf, macht naturgemäß wenige Fouls. Aber ohne Fouls maximal hart verteidigen, das ist eine hohe Kunst.
Die Grundlage ist, überhaupt zu wissen, wie man foulfrei verteidigt und daran arbeiten, es auch umzusetzen – ich denke, das ist ein Punkt, auf den man sich immer einigen kann. Eine regelkonforme Verteidigungsposition hat man eingenommen, wenn man mit der Achse der Hinterräder in Fahrtrichtung vor der Achse der kleinen Räder des Gegners gekommen ist. Aber hier beginnt schon ein schmaler Grat, den die Regeln kennen eine ganze Reihe von Bedingungen, unter denen es heftig krachen darf, ohne dass der Schiedsrichter pfeift – und noch mehr, unter denen der Schiedsrichter pfeifen muss, obwohl die Stuhlposition erstmal „sauber“ erscheint. Und wir reden jetzt erstmal nur davon, dass die beiden Gegner nur vorwärts gefahren sind. Hier steigen die meisten Laien dann auch schon aus: “Es kracht, es pfeift. Es kracht nicht, es pfeift trotzdem, es kracht, es pfeift nicht – danke, Du findest mich dann am Bierstand.”
Wir haben seit einigen Jahren ein sehr spannendes Prinzip, das Fußball-Fans seit Ewigkeiten kennen: „Vorteil“, „passives Abseits“ usw. haben das Spiel dort erheblich verändert, und so ist es auch im Rollstuhlbasketball: Die Schiedsrichter sind gehalten, bei ihren Entscheidungen zu bewerten, ob sich der Verteidiger bei einem „Kontakt“ (so nennt man es in der Regelsprache, wenn es klatscht, kracht oder sonstwie Körper und/oder Stuhl stärker als nur beiläufig aneinander kommen) einen Vorteil erlangt hat, ob dem Angreifer ein Nachteil entstanden ist.
Eine der Mannschaften, die die Klaviatur von „regelkonformen Nachteilen“ großartig spielen konnte, war das Damen-Team der USA, das sich in Peking 2008 die Goldmedaille sicherte. Über kontrolliert harte, aber erlaubte Attacken am Stuhl im offenen Feld – wir nennen das gerne „Grinding“, haben sich die Amerikanerinnen gegen ein starkes deutsches Team die Medaille gesichert – zum Glück sind unsere „Mädels“ in London vier Jahre später trotzdem noch belohnt worden, denn in Peking hatten sie bis auf den Umgang mit der bärenstarken Transition-Defense der USA alles drauf, was man für’s Gold brauchte.
Die Bewertung solcher Vorteile und Nachteile ist naturgemäß subjektiv, man nimmt sie als Spieler, als Coach, als Referee ganz anders wahr und wirklich die gesamte Sicht hat man erst, wenn man alle drei Rollen aus der eigenen Erfahrung kennt und das dann mit Videoaufnahmen später noch einmal prüft. Stark vereinfacht: Entsteht kein Nachteil, entsteht kein Vorteil, verstößt der Kontakt nicht gegen elementare Regeln des Sports, läuft das Spiel weiter. Manchmal behält sich der Schiedsrichter vor, einen wahrgenommenen Kontakt erst später durch seine mittelbaren Auswirkungen – als „late call“ – zu beurteilen – selten genug, aber gute Referees erkennt man an der Fähigkeit, das Spiel mit diesem Mittel zu steuern.
Und richtig gute Referees erkennt man dann eben auch daran, dass sie merken, wenn sie von dieser Linie abweichen müssen: Coaches brauchen auch die Option, das Spiel im Zweifelsfall am Ende mit taktischen Fouls noch wenden zu können. Dazu muss man vorher natürlich rechtzeitig „Fouls nehmen“, damit man früh genug, aber nicht zu früh die Teamfoulgrenze zu überschreiten, damit der Gefoulte immer zweimal an die Freiwurflinie geht. Man muss sich aber auch darauf verlassen können, dass Kontakte herzlos im Sinne der Regeln „bestraft“ werden, auch wenn der entstandene „Nachteil“ zweifelhaft ist.
Wenn man erst einmal unter Kontrolle hat, dass man nicht dauernd in irgendeiner Weise latent foul spielt, und wenn man kommt man zur spannendsten Frage: Wie gehe ich mit dem Vorrat an fünf persönlichen Fouls um? Ein kluger Spruch besagt: Du hast fünf Fouls – zwei davon brauchst Du für Fehler, die Du selbst machst. Zwei davon brauchst Du für Fehler, die die Referees machen. Also benutz’ das eine verbleibende Foul klug.
Da ist eine Menge Wahres dran – nehmt es mit, arbeitet an guter harter Defense und verschwendet nicht Eure Aufmerksamkeit an die Refs!
Daniel Stange ist Rollstuhlbasketballer seit 1998. Zu seinen Stationen zählen der RSV Lahn-Dill und die SG/MTV Braunschweig. Der C-Lizenz-Trainer war u.a. hospitierendes Mitglied im Coaching Staff der Herren-Nationalmannschaft für die EM 2011 sowie Assistenztrainer für die Herren-Nationalmannschaft 2013. Schwerpunktthemen: Spielanalyse, Videoanalyse und Scouting. Im normalen leben ist Daniel Stange Historiker und freiberuflicher Journalist. Für Rollt. bloggt er in der Kategorie “Pick and Rollt.” %CODE1%