Ralf Neumann, der zurzeit als Bundestrainer am Rollstuhlbasketball-Bundesstützpunkt in Wetzlar tätig ist und sich bei den Gießen Pointers für das Coach-Monitoring verantwortlich zeichnet, ist zurück auf der deutschen und internationalen Rollstuhlbasketball-Bühne.
Der ehemalige Assistant und Head Coach des RSV Lahn-Dill sowie Co-Trainer von Herren-Bundestrainer Nicolai Zeltinger, nimmt – nach seiner Demission beim RSV Lahn-Dill in 2018 – wieder dauerhaft auf einer Rollstuhlbasketball-Trainerbank Platz. Der gebürtige Gießener wird fortan, zusammen mit dem frisch installierten Damen-Bundestrainer Dirk Passiwan, die Fäden im Damenbereich ziehen. Ein Bereich, in dem sich der DBB-B-Lizenzinhaber bestens auskennt; schwang und schwingt er doch die letzten Jahre das Trainerzepter bei den Krofdorfer Fußgänger-Damen. Auf das neue Trainergespann, dessen Zusammenarbeit auf einem gemeinsamen Gespräch bzw. Treueschwur bei einer Tasse Kaffee im Jahre 2015 in Istanbul fußt, wartet jede Menge Arbeit. Denn nicht nur das Karriereende von Johanna Welin-Ryklin, Laura Fürst und Barbara Groß reißt eine Lücke in den Kader, sondern auch der – in der Breite – fehlende weibliche Nachwuchs. Unterstützt werden die beiden bis Jahresende übrigens von Nationalmannschaftskapitänin Mareike Miller, die erwartungsfroh auf die kommenden Wochen schaut: „Ich freue mich, trotz meiner Verletzung, das Team gerade bei dieser schwierigen Aufgabe, eine EM mit wenig Vorbereitungszeit, unterstützen zu können. Dafür das Vertrauen und somit auch die Chance zu bekommen, mit Dirk und Ralf zusammenzuarbeiten, ist sehr schön, und ich bin gespannt auf unsere gemeinsamen Aufgaben.“
Nicht nur die Paralympicssiegerin des Jahres 2012 freut sich auf die gemeinsame Zeit, sondern auch Headcoach Passiwan: „Mareike und Ralf sollen mich beraten und mir zur Seite stehen. Beide werden entsprechende Aufgaben im taktischen sowie im Trainingsbereich übernehmen. Wir werden uns abstimmen und schauen, wie wir die Mannschaft zusammenstellen und einstellen. Auch während des Spiels sind beide an meiner Seite. Ich vertraue beiden voll und ganz. Die finalen Entscheidungen werden jedoch bei mir liegen.“
Die Combo Neumann-Passiwan kann langfristig funktionieren
War der Verband in den letzten Jahren mit Topspielerinnen, wie Annika Zeyen, Gesche Schünemann, Marina Mohnen & Co. gesegnet, klafft nun eine Lücke im Spielerinnenangebot, die das neue Triumvirat in den kommenden Monaten und Jahren schließen muss. Dabei schwebt nicht nur das „Personal-Schwert“ über den Trainerköpfen, sondern auch die Ungewissheit in puncto internationaler Klassifizierung der 4,5-Punkte-Spielerinnen. Die Combo Neumann-Passiwan indes kann langfristig funktionieren, da sie einen gewissen Charme besitzt und auf menschlicher Unterschiedlichkeit fußt. Auf der einen Seite ist da der Ausnahmeathlet, Weltklassespieler und erfahrene Basketball-Fuchs Dirk Passiwan. Ein Mann, der den Sport aus dem Effeff kennt, international anerkannt ist und niemanden in der „Wheelchair basketball world“ seine Expertise beweisen muss. Passiwan ist der Nette; der Liebe. Der angenehme Zeitgenosse, dem ein gutes Miteinander und ein harmonisches Zusammenwirken wichtig ist.
Neben dem Trierer sitzt in Zukunft Ralf Neumann, der Rustikale. Ein Mann, der nach einem Sieg auch mal eine Flasche Bier zischt und das Herz auf der Zunge trägt. Neumann polarisiert. Spielerinnen, die mit klaren und lautstarken Ansagen eher weniger gut umgehen können, werden den Fokus auf die Inhalte und nicht auf die verbale Verpackung legen müssen. Der 57-Jährige indes macht keinen Hehl aus seiner direkten und manchmal auch lautstarken Art am Spielfeldrand: „Es geht ums Gewinnen und Verlieren. Da kann es schon mal laut werden. Nett ist nicht meiner zweiter Vorname. Wobei es mir immer um die Sache und nie um die Person geht. Wenn ein Fastbreak nur mit 85% Intensität und Willen gerollt resp. gelaufen wird, dann sind das 15% zu wenig. Und wenn der nächste Fastbreak dann mit 89% statt der geforderten 100% gelaufen bzw. gerollt wird, dann kann es halt mal laut werden. Es ist auch so, dass ich einiges in den letzten Jahren in der Basketball-Hochburg Gießen bzw. Mittelhessen lernen konnte. Dieses Wissen möchte ich gerne weitergeben.“
Dass der gebürtige Gießener und HSV-Fan ein Mann des direkten Wortes ist, weiß auch Ex-Lahn-Diller David Amend, der mit Ralf Neumann die Krofdorfer Damen trainiert: „Ralf ist direkt und geradeaus. Du weißt sofort, woran du bei ihm bist. Er erwartet, dass das Team die Ansprüche erfüllt, die er selbst auch an sich als Trainer stellt. Es wird nichts schöngeredet. Er ist immer ehrlich. Das schätze ich sehr an ihm. Es wird immer die Wahrheit gesagt und er brennt für das, was er macht – und das überträgt sich letztlich auch auf die Mannschaft. Ferner kann er einen riesigen Erfahrungsschatz vorweisen, auf den er zurückreifen kann und von dem ich in während unserer gemeinsamen Zeit in Krofdorf sehr viel lernen und mitnehmen konnte. Ich für meinen Teil empfinde seine Art als erfrischend und angenehm. Insbesondere in einer Zeit, in der viele Menschen lieber mit Ihrer Meinung hinter dem Busch halten.“
Neumann und Passiwan: das ist Ruhe und Sturm, Bad Cop und Good Cop, Ying und Yang. Und genau diese Mischung kann sich auszahlen. Während bei den Männern des Team Germany ein akribisch arbeitendes, konziliantes und planerisches Duo am Werk ist, regiert bei den Frauen ab sofort das Duett der Unterschiedlichkeit.
Passiwan und Neumann muss es gelingen, ihre „charakterlichen Differenzen“ zum Wohle und zur Weiterentwicklung aller Spielerinnen einzusetzen. Sie müssen den Hunger und das Feuer in den Athletinnen wecken. Ein Funke kann Dirk Passiwan sein, der, anders als sein Vor-Vorgänger Martin Otto, eine Vollzeitstelle antritt. Der Trierer wird Nachwuchsstrukturen ausbauen und schaffen müssen, die sich mittel- bis langfristig in sportlichen Ergebnissen niederschlagen. Doch dazu brauch es Zeit. Die erfolgsverwöhnten deutsche Fans werden sich in Geduld üben müssen, denn andere Nationen, wie z. B. GB oder die Niederlande, sind strukturell und finanziell ein gutes Stück weiter. Gut Ding will eben Weile haben. Aber auch die Spielerinnen sind in der Pflicht. Sie müssen das Vertrauen, das einige Fans nach der „Causa Otto und Weylandt“ in sie verloren haben, wieder aufbauen. Das geht nur mit absoluter Ehrlichkeit und Transparenz.
Spannend bleibt in diesem Kontext auch, wer demnächst die vom DBS ausgeschriebene Stelle des/der Projektkoordinator*in Rollstuhlbasketball besetzen wird und wie diese Person den Bundestrainern auf beiden Seiten zuarbeiten wird. Generell kommt keine Langweile auf in der Szene – und ab sofort, so viel ist sicher, wird es Courtside hier und da auch mal ein bisschen lauter werden.
Text: Martin Schenk | Foto: Uli Gasper