Nach 32 Jahren ohne Paralympics-Medaille hat sich das Team Germany der Herren bei den Spielen in Paris aufs Podest geschwungen. Dieser bronzene Erfolg hat viele Väter. Nicht nur das, es waren – neben dem Glauben an die eigene Stärke – viele kleine Entscheidungen, die zu diesem langersehnten Triumph geführt haben. Ob das Höhentrainingslager vor den Paralympics, die Wahl Engels zum Nachfolger von Nicolai Zeltinger, die Installation des U19-Nationaltrainers Sebastian Wolk als Co-Trainer, der Wille des Kollektivs oder die Fortführung der Zusammenarbeit mit dem besonnenen Martin Kluck als ruhigen Gegenpart zum gefühlsechten Bundestrainer. Ich könnte die Liste noch ein gutes Stück weiterführen, gab es doch viele kleine und große Rädchen, die zu diesem wunderbaren Ergebnis in Paris geführt haben.
Ich muss sagen, dass ich schon ein kleines bisschen Pipi im Auge hatte, als sich die Jungs nach dem Schlusspfiff in den Armen lagen. Sie haben es sich einfach verdient. Jeder Rollstuhlbasketball-Fan wusste und weiß, dass das Team Germany an einem guten Tag jede Mannschaft auf diesem Erdball schlagen kann. Dass die Mannschaft dies in dem ein oder anderen Match in Paris schuldig blieb, kehre ich mal – unter der Einwirkung eines Dopaminschubs stehend – geflissentlich unter den Teppich. Wie sagt Rhinos-Geschäftsführer Mirko Korder immer so schön: „Hinten hat der Fuchs die Eier!“ Von daher genießen wir den Augenblick und freuen uns für die Jungs, die – wie die Damen – in den letzten Jahren so viele Entbehrungen in Kauf genommen, sich durchs Repechage-Turnier gespielt und durch eine ultralange RBBL-Saison gekämpft haben. Was mich, der 2013 Fuß in diesem Sport gefasst hat, persönlich freut, ist die phänomenale sportliche und menschliche Entwicklung einiger Youngsters. Maddes Güntner durfte ich in seinen Anfangsjahren in Wiesbaden – damals noch unter dem Zepter von Christa Weber – heranwachsen sehen. Eiskalt wie eine Hundeschnauze hat er inzwischen Oberarme, wie ich Oberschenkel. Oder ein Alex Budde, der mal eben 38 Minuten in einem Spiel um Platz drei auf dem Court steht und wie Kollege Güntner einen Schatten wirft, hinter dem sich einen ganze Kindergarten-Gruppe verstecken kann. Oder Tommy Böhme und Jan Haller, die alten Kameraden aus Wetzlar, die, wie ein rollstuhlfahrender Sysyphus, immer und immer wieder den „Vorbereitungs- und Nationalmannschaftsberg“ hochgerollt sind, um kurz vor dem Ziel rückwärts wieder runterzurollen. Sie, wie auch alle anderen, haben die Pobacken zusammengepetzt und nicht aufgegeben. Aus diesem Grund ist diese Medaille etwas ganz Besonderes. Sie steht für all die Arbeit, den vergossenen Schweiß und die sportlichen Nackenschläge bei großen Turnieren.
Dieser dritte Platz, kann, wie schon andere Anstupser und Anschubkräfte vor ihm, genutzt werden, um die inklusivste Sportart hierzulande, nach vorne zu katapultieren. Während die ganze Szene die großartige WM 2018 in Hamburg verpuffen ließ resp. die Nachwehen nicht öffentlichkeitswirksam nutzte, birgt der dritte Rang von Paris eine neue Chance für alle Beteiligten. Die Jungs, das Team, wie auch das Thema Inklusion sind in aller Munde. Jeder Vereinsmanager, Spieler und Verantwortliche hat die kommenden Wochen, in den dich die Jungs von Sektempfang zu Sponsoren- und Verbandsevents schleppen, die Möglichkeit, diese Aufmerksamkeitswelle zu surfen. Jetzt gilt es die kommenden RBBL-Heimspiele und die Sportart zu bewerben. Die Athleten zu „sportlichen Vorbildern und Idolen“ aufzubauen. Der geneigte Fan darf nur hoffen, dass es so etwas wie eine „Ministrategie“ gibt, um JETZT ordentlich für die Liga, die Sportler und die Sportart zu werben.
Kurzer Einwurf: Eine tolle Stelle gibt es übrigens gerade im Fachbereich Rollstuhlbasketball zu besetzen – nämlich die eines Leiter des Vorstandbüros (Klick mich!). Also: macht mal ordentlich Werbung und packt mit an.
Lasst mich noch ein paar Sätze über Michael Engel verlieren. Da ich weder in der Kabine der Natio kiebitze noch bei den Spielen oder Trainingseinheiten vor Ort bin, kann ich mir nur ein oberflächliches Urteil erlauben, das sich aus Interviews, persönlichen Gesprächen und Rückfragen bei Dritten speist. Micha Engel tut diesem Team gut. Er baut auf Zeltingers Arbeit auf. Etwas, das auch nicht vergessen werden darf. Der Familienvater ist belesen, kommuniziert direkt und hat einen strukturierten Tagesablauf, der Kraft und Energie spart, die er in die wichtigen Dinge im Leben, wie auch den Rollstuhlbasketball, investiert. Er lebt den Augenblick und seine Emotionen, und zwar authentisch, ohne sich als Mensch zu verstellen. All dies, neben seiner enormen Basketball-Expertise, bilden die Grundlage, dass er sein Team mit allen Sinnen im Kopf und in der Seele erreicht. Er schafft eine Verbindung zu den Spielern. Sie vertrauen ihm und seinem Staff, da sie wissen, dass er nur das Beste will. Das Beste ist nicht gleichbedeutend mit Perfektion im Endstadium, sondern es basiert auf dem Anspruch das Bestmögliche aus genau diesem Augenblick zu machen. Um solch eine Beziehung herzustellen, brauch es ganz viel Liebe. Ich merke schon, wie der ein oder andere mit den Augen rollt und an Räucherstäbchen aus dem Asia-Laden und das klassische Esoterik-Handbuch denkt. Aber genau darum geht es: Das zu lieben, was man(n) macht. Wenn ein Mensch seine Arbeit liebt, dann gibt er diese Leidenschaft weiter und steckt andere an. Menschen haben eine Antenne dafür, ob jemand für das brennt, von dem er spricht. Genau dies „tut“ Michael Engel. Er muss, wie er es auch zum Besten gibt, seinen Jungs nicht erklären, wie Basketball gespielt wird. Dies wissen die Herrschaften selbst am besten. Vielmehr muss er auf eine andere Bewusstseins- und Gefühlsebene vordringen. Er muss Emotionen übersetzen bzw. zwischen den Zeilen lesen. Und hier wird er in den kommenden Wochen noch einiges zu tun haben. Ich denke nicht, und das ist jetzt Spekulation, dass er seinen Jungs großartige erklären muss, warum Spieler ABC nur soundso viel Minuten gespielt hat. Das läuft mit Sicherheit hochprofessionell ab, da Engel ein hohes Vertrauen genießt. Nein, es geht darum, die Spieler mental auf die nächste Stufe zu heben. Sie die Spiele im Kopf gewinnen zu lassen. Sie nur im Augenblick sein zu lassen. Konzentriert, fokussiert und mit Spaß bei der Sache, so dass jeder Lust verspürt, noch mehr Verantwortung übernehmen zu wollen. Wir dürfen uns auf die kommenden Wochen und Monate freuen.
Jetzt heißt es aber erstmal ordentlich zu feiern, den Moment zu genießen und all diese Augenblicke für immer im Herzen festzuhalten.
Text: Martin Schenk | Foto: Ana Sasse