In knapp einer Woche beginnt die U22 EM in Italien. Vor dem Showdown der Team-Germany-Nachwuchskräfte in der Vorrundengruppe A gegen die Mannschaften aus Polen, Frankreich und der Türkei, haben wir uns bei Co-Trainer Benny Ryklin nach dem Status quo erkundigt.
Die U22 EM in Lignano Sabbiadoro steht an. Vom 10. bis zum 15. September duellieren sich die besten Nachwuchsmannschaften Europas in Italien. Was ist deine persönliche Erwartungshaltung an das Turnier und deine Mannschaft?
Ich erwarte ein sehr gut organisiertes Umfeld mit kurzen Wegen und einer super Spielhalle. Wir finden, wie schon letztes Jahr, einen tollen Ort vor und können effektiv und fokussiert Spiel für Spiel arbeiten. Meine Erwartung an uns ist, dass wir uns als Einheit auf und neben dem Feld präsentieren. Wir wollen uns mit den besten Teams Europas messen, die – Stand heute – Türkei und GB heißen. Das Halbfinale muss unser Ziel sein, auch wenn es nicht einfach wird.
Wo siehst du die Stärken der deutschen U22-Equipe?
Unsere Stärke ist die Flexibilität unserer Spieler. Und unser Wille, Spiele für uns entscheiden zu wollen. Wir haben gute Jungs an Bord, die alle ihre individuelle Stärke mitbringen. So können wir flexibel auf jeden Gegner reagieren und mit verschiedenen Line-ups und Performances, wie groß oder auch schnell, spielen.
Martin Otto legte im Rollt.-Interview jüngst den Finger auf die vermeintliche “Athletik-Wunde” im Damenbereich. Wie siehst du die männlichen Youngsters dahingehend aufgestellt?
Auf internationalem Niveau ist der Druck immer enorm. Da spüren die Spielerinnen und Spieler jedes Korn, das auf dem Feld über kurz oder lang fehlt. Es geht weniger um Schnelligkeit, als vielmehr um den Kopf, der über 40 Minuten nicht müde werden darf, damit die Athleten Wege finden, um Spiele zu gewinnen. Unsere Schlüsselspieler sind topfitte Athleten, die, wenn es sein muss, auch 40 Minuten durchziehen können. Und wir haben eine lange Bank, um denen, die es benötigen, auch Pausen zu geben. Ich denke, Martin Otto hat recht. Und auch wir als U22 werden eventuell auf athletischere Teams mit einer entsprechender Kaderbreite treffen. Dann müssen wir bereit sein, doppelte Wege zu gehen bzw. zu rollen. Und wir müssen sie mit anderen Tugenden schlagen.
Ohne sie hervorheben zu wollen, aber Spieler wie Matze Güntner und Nico Dreimüller stehen ein Stück weit unter Dauerstress. WM-Vorbereitung, die WM selbst, dann die U22 EM und Ende September geht die RBBL-Saison wieder los. Wie hältst du solche Spieler bei Laune? Bzw. was macht der Verband, um das Gleichgewicht zwischen Sport, Familie und Beruf/Studium zu wahren?
Was der Verband macht, weiß ich nicht. Ich habe zum Beispiel Nico gesagt, dass er vor der EM regenerieren und was anderes machen soll, als täglich in die Halle zu gehen. Man kann Formspitzen nur bedingt halten, deswegen sagt man ja Spitze. Also sind aus meiner Sicht Pausen wichtiger, als durchgehende Trainings- und Krafteinheiten über Monate und Jahre hinweg. Nach so einem Hoch wie der WM muss ein Spieler auch mal Freunde und Familie treffen, anstatt jeden Abend in der Halle zu stehen.
“Der Verband kann Wege bereiten, aber die eigentliche Arbeit steckt in den Vereinen.”
Und der Beruf bzw. das Studium?
Die berufliche Zukunft hat bei uns auch Priorität, und so fällt halt auch mal ein Spieler aus, wenn Schule oder Studium das so verlangen. Gleichzeitig sind neben der Liebe für den Rollstuhlbasketball, die Freundschaft und der Zusammenhalt große Leistungsfaktoren in unserem Sport. Es müssen neben dem Feld nicht 12 Freunde sein, aber jeder im Team hat, so denke ich, seine Kumpels, die er nicht zwangsläufig jede Woche sieht. Und so sind nach meinem Dafürhalten Nico und Maddes auch entsprechend motiviert, den Stress auf sich zu nehmen, in Italien aufs Feld zu fahren und gemeinsam Spiele zu gewinnen.
Wer sind für dich die Favoriten in Italien – und warum?
Da hole ich jetzt mal etwas weiter aus: Die WM und auch Vorbereitungsspiele haben gezeigt, dass andere Länder aufholen bzw. einige Nationen, wie zum Beispiel GB oder die Türkei, mit einer größeren Anzahl an Sportlern im Land weiter sind, als wir in Deutschland.
Welche andere Länder meinst du noch?
Spanien, Italien und Frankreich intensivieren ebenfalls ihre Bemühungen, Polen und Israel sind da wohl erst am Anfang. Wir müssen schauen, dass wir mehr Spieler für unsere Sportart akquirieren, begeistern und den positiven Rollstuhlbasketball-Trend Jahr für Jahr mitgehen und aufrecht halten.
Was heißt das für Deutschland?
Der Verband kann Wege bereiten, aber die eigentliche Arbeit steckt in den Vereinen. Jeder redet von Professionalisierung, aber Qualität in der Breite kommt im Sport aus einer entsprechenden Quantität und Konkurrenzkampf – und nicht aus einzelnen Verrückten, die bereit sind, die von dir angesprochenen Opfer zu bringen. Daraus entsteht dann ein Aufwärtsstrom, der Spielern eine professionelle Bühne und Sponsoren eine attraktive Plattform bietet.
Lass uns zurückkommen auf die Ausgangs- und Abschlussfrage: Die EM-Favoriten.
Lange Rede kurzer Sinn: Ich erwarte für uns eine harte Gruppenphase, bei der wir mit Frankreich und der Türkei um einen Platz für das Halbfinale kämpfen. GB und die Türkei gehen für mich als Favoriten ins Turnier, danach kommen vier Länder, darunter Deutschland, die Außenseiterchancen haben.
Benny, vielen Dank für deine Zeit
Interview: Martin Schenk | Foto: Steffie Wunderl