Eine Medaille wollte die U23 von ihrer WM-Reise nach Thailand mitbringen. Am Ende sprang, nach einer tadellosen Vorrunde und einem Viertelfinalerfolg gegen Brasilien, Platz vier für die Schützlinge von Bundestrainer Peter Richarz heraus. In einem ehrlichen und offenen Interview spricht das Urgestein des Rollstuhlbasketballs über die gute Teamchemie seiner “Truppe”, die fantastische Organisation vor Ort sowie Ansätze, um die Lücke zur Weltspitze zu schließen. Dem nicht genug, äußert sich der Headcoach auch kritisch zum Sitzverhalten einiger Highpointer während der WM und im Allgemeinen.
Peter, ihr seid die Reise nach Thailand mit dem Ziel angetreten, eine Medaille mit nach Hause zu bringen bzw. um die Medaillenränge zu spielen. Das hat nur bedingt geklappt. Was hat deiner Meinung nach im Match gegen die Türkei gefehlt?
Die Spiele in der Vorrunde gegen Israel und Australien sowie das Viertelfinale gegen Brasilien hatten viel Kraft gekostet, weil es nicht gelang, konstant unsere Leistungen aufs Feld zu bringen. Im Halbfinale gegen die Türkei hatten wir leider wieder mit -9 einen sehr schlechten Start und benötigten viel Power, um dranzubleiben. Wir konnten leider nur zwei Viertel für uns entscheiden, und es gelang nicht, den zweiten Threat, die Nummer 5 (Mahmut Acikgoz, Anm. d. Red.), in den Griff zu bekommen. Mahmut Acikgoz hatte mit seinen 31 Punkten und 10 Rebounds einen absoluten „Sahnetag“. Insgesamt war es sehr knapp, die vier Fehlwürfe von der Linie und auch die vergebenen einfachen Punkte haben uns sehr weh getan.
Und gegen die Iberer?
Das Spiel um Bronze gegen die Spanier war leider sehr schnell „vorbei“. An diesem Tag hat es verständlicher Weise an vielen Punkten gefehlt: Die Jungs waren noch sehr geknickt, und sie waren nicht in der Lage, dem großen Druck standzuhalten.
Was hat dir während eurer Zeit in Phuket besonders gut gefallen?
Erst einmal möchte ich ein riesiges Dankeschön an das LOC loswerden. Alles war perfekt organisiert. Der Transport zum Training und zu den Spielen klappte reibungslos, die Verpflegung war abwechslungsreich und die Unterbringung im Hotel erstklassig. Die Helfer und Helferinnen waren immer superfreundlich und hilfsbereit, und uns hat es an nichts gefehlt.
Von der Orga zum Kollektiv: In welchen Bereichen haben sich die Jungs weiterentwickelt?
Das Team zeigte sich über die gesamte Zeit als eine eingeschworene Einheit, die Zusammenarbeit mit Kapitän Budde und dem Staff war sehr effektiv. Die Jungs konnten vor allem in der Vorrunde, auch in kritischen Spielphasen, überzeugen und sich gegenseitig pushen.
Was noch?
In den Vorbereitungsmeetings beeindruckten viele Athleten mit ihrem taktischen Verständnis und ihrer selbstkritischen Grundhaltung. Und auch noch einen großen Dank an meine Kollegen und Kolleginnen aus dem Staff. Mit unserer Ärztin Petra Michel-Leutheuser, dem Physio Uwe Geiselmann, dem Techniker Wolfgang Böhme, dem Co-Trainer Gü Mayer und mit unserem Rookie im Staff Team, dem Manager Karim Drews, waren wir in super Besetzung vor Ort.
Hand aufs Herz, Peter: Bildet der Platz deiner Jungs das tatsächliche und aktuelle Leistungsniveau auf globaler Ebene ab?
Wenn man sich alle Spiele des Turniers anschaut, muss die Antwort „ja“ lauten. Denn wir hatten mit den Teams in Pool B sicher die einfacheren Aufgaben, und die drei Erstplatzierten im Pool A hatten sich in den Vorrunden jeweils einmal schlagen können. Das waren sicher die stärksten Mannschaften der WM. Wie bereits beschrieben, wäre ein Sieg im Halbfinale nur mit einer sehr guten Leistung aller Jungs möglich gewesen.
Du bist schon ewig lange im Geschäft und kennst die Szene. Wie läuft die Nachwuchsförderung in anderen Ländern, wie z. B. der Türkei, Japan, Spanien und GB? Was ist dort anders? Oder ist es eher so, dass der sportliche Erfolg mit extrem guten “Jahrgängen” korreliert?
Wie konkret die Förderprogramme aktuell in den aufgezählten Ländern aussieht, kann ich leider nicht beantworten. Seit ich nicht mehr Mitglied in der Development Commission in der IWBF Europe bin, ist der Informationsaustausch gering. Mein Eindruck beim türkischen Team ist, dass sie immer sehr viele Talente gerade im Highpointer-Bereich finden. Bei den Spaniern fällt auf, dass sie gerade in den letzten Jahren immer sehr viele „Erstligaspieler“ mit viel Erfahrung aufs Feld schicken können.
Das ist, um es in meiner flapsigen Art auszudrücken, schön für die sportliche Konkurrenz, aber was muss hierzulande intensiviert werden, um ganz oben mitzuspielen?
Unser Nachwuchs muss stetig mehr Spielpraxis in den höheren Ligen bekommen, um Erfahrungen gegen größeren Druck im Wettkampf zu bekommen. Nur in den ersten beiden Bundesligen ist Geschwindigkeit, Passschärfe und Chairskills mit den internationalen Anforderungen vergleichbar.
Gibt es noch etwas?
Nun, die konkrete inhaltliche Zusammenarbeit mit den Landestrainern und dem U19-Bundestrainer muss weiter gesteigert werden, damit die Talente schnell erkannt und zielgerichtet gefördert werden.
Bei aller geforderten Positivität, muss nüchtern festgehalten werden, dass das Image des Rollstuhlbasketball zuletzt erheblich gelitten hat. Das Klassifizierungsdilemma, die Reduzierung der Startplätze bei den Paralympics und jetzt die Absage der WM in Dubai. Welches Bild gibt der Sport aktuell in deinen Augen ab?
Ich kann nur das letzte Auftreten in Phuket konkret beurteilen. In diesem Kontext muss ich sagen, dass sich dort unser Sport sehr gut verkauft hat. Die meisten Spiele waren auf einem sehr hohen Niveau, und sie wurden für die ganze Welt im Livestream sichtbar und äußerst professionell kommentiert. Den Begriff „Klassifizierungsdilemma“ würde ich inzwischen nicht mehr benutzen …
Warum?
Ganz einfach, die Zusammenarbeit mit dem IPC und den IWBF-Klassifizierern lief reibungslos. Meines Erachtens sollten wir uns schnellstens auch national auf dieses System einstellen und nicht „alten Zöpfen hinterher trauern.“ Kritisch beobachte ich jedoch in diesem Zusammenhang das „Sitzverhalten“ einiger Highpointer während des Spiels.
Inwiefern das?
Hier können uns nur neue eindeutige Regeln in Bezug auf den Rollstuhl der Highpointer helfen. Diese müssen verhindern, dass die Füße eingesetzt werden können und Athleten sich auf den Rahmen oder Rückenlehne setzen. Diese Regeln müssen dann auch während des Wettkampfes konsequent von den Schiris umgesetzt werden.
Themenwechsel: Mit Lukas Gloßner und Basti Kolb wagen zwei deiner Jungs den Sprung ins Ausland. Was sagst du dazu?
Dies finde ich für beide eine großartige Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln. Denn die Jungs werden neue Trainer, neue Trainingsmethoden kennenlernen, weiter auf hohem Niveau internationale Luft schnuppern und sich in Spanien beweisen können. Leider muss ich mich wahrscheinlich aus Altersgründen von beiden verabschieden, denn es sieht aktuell nicht so aus, dass die IWBF Europe im kommenden Jahr eine EM veranstaltet.
Falls doch?
Dann wäre zumindest Basti noch startberechtigt.
Kannst du uns zu guter Letzt noch verraten, wie es jetzt mit der U22 bzw. U23 in den nächsten Monaten weitergeht?
Aufgrund des Ligastarts haben wir jetzt erst einmal eine längere Pause, und wir werden die Spieler wieder mehr aus der Ferne und digital betreuen. Die Jungs werden dann mit ihren neuen Erfahrungen in den jeweiligen Ligen wieder Vollgas geben. Der nächste Sichtungslehrgang gemeinsam mit der U19 wird im Frühjahr 2023 angesetzt werden.
Vielen Dank für deine Zeit, Peter.
Interview: Martin Schenk | Foto: Christian Kolb (www.kistenblick-murnau.de)