U24-Bundestrainerin Nora Schratz spricht im Rollt.-Interview, kurz vorm Start der Europameisterschaft in Frankreich, über Ihre persönliche Erwartungshaltung, den Umbruch im Team sowie die aktuellen und zukünftigen Chancen junger Spielerinnen in der Bundesliga.
Nora, die U24-Europameisterschaft in Frankreich startet am 1. November. Was ist deine persönliche Erwartungshaltung an das Turnier?
Meine persönliche Erwartungshaltung ist, dass wir die Dinge, an denen wir in den letzten Monaten hart gearbeitet haben, auch in einem Wettbewerb umsetzen. Ich sehe das Turnier als einen wichtigen Schritt, für eine erfolgreiche WM im nächsten Jahr.
Kannst du eins, zwei Sätze über die anderen Teilnehmerländern verlieren?
Ehrlich gesagt, kann ich dazu nicht viel sagen, da mir die meisten Spielerinnen nicht bekannt sind. Eines lässt sich klar sagen, die Britinnen haben ein sehr starkes Team. Sie sind auch mit A-Nationalspielerinnen besetzt, die einen großen Anteil an der Vize-Weltmeisterschaft hatten.
Hingegen sind die Franzosen, wie auch die Türkinnen, ohne bekannten Gesichter. Bei der EM 2016 konnten wir die Türkinnen kennen lernen, und sie sind bekannt für ein aggressives und schnelles Spiel. (Anm. d. Red.: Das Interview wurde vor dem EM-Rückzug der türkischen Damen geführt)
Und die Französinnen stellen zum ersten Mal eine U24-Mannschaft. Aus diesem Grund dürften sie im Wettkampf eher sehr unerfahren sein.
Wie informierst du dich überhaupt über die Konkurrentinnen und deren Leistungsniveau?
Dies gestaltet sich sehr schwierig. Mittlerweile hilft es schon sehr, dass viele Spiele gestreamt werden und man zumindestens von einzelnen Spielerinnen einen Eindruck bekommt. Zum Beispiel habe ich mir die Türkinnen bei der B-Europameisterschaft im Livestream angeschaut. In der Regel findet sich die Strategie der Nationalmannschaften auch in den U-Mannschaften wieder, so dass man sich auf die Spieltaktik einstellen kann. So gehe ich davon aus, dass die Britinnen auch ihre starke Presse, die aus der A-Nationalmannschaft bekannt ist, in der U-Mannschaft einsetzen werden.
Aufgrund der Verschiebung der Altersgrenze von 25 auf 24 Jahre, hast du erfahrene Athletinnen verloren. Was wiegt für dich persönlich schwerer: Die schwindende Chance, oben mitzuspielen? Oder die Chance, jungen Sportlerinnen eine Entwicklungsmöglichkeit zu geben? Und warum?
Dieser große Umbruch wird sicherlich noch zu spüren sein. Gerade in puncto Wettkampferfahrung sind wir jungfräulich. Ich sehe den Umbruch als eine große Chance. Wir haben nun eine junge Altersstruktur, so dass die Spielerinnen sich zusammen entwickeln können. Und für mich als Trainerin bietet es die Möglichkeit, an unseren Stärken weiterzuarbeiten und nicht jedes Jahr wieder bei Null anzufangen. Im Prinzip haben die Britinnen genau dies vor zehn Jahren gemacht. Und nun haben sie junge Spielerinnen in der A-Mannschaft, die gut zusammenspielen.
Wie würdest du deinen “wilden Haufen” in einem Satz beschreiben?
Sie wissen noch nicht, was alles in ihnen steckt, aber wenn sie es herausfinden, werden sie nicht zu bändigen sein.
Wie siehst du aktuell die Perspektive für junge Spielerinnen hierzulande? Es ist meist nur die Rede von den männlichen Nachwuchskräften, wenn z. B. über eine möglichen Deutschquote diskutiert wird. Was sollte der Anspruch in der RBBL oder in den unteren Ligen und bei den Vereinen sein?
Für junge Spielerinnen ist es zurzeit sehr schwer, da sie noch nicht, im Vergleich zu jungen männlichen Talenten, in den oberen Ligen gefragt sind. Was natürlich auch ein Stück weit mit der Entwicklung der Athletik im Rollstuhlbasketball zusammenhängt, und somit erhalten sie einfach schlechtere Trainings- bzw. generelle Möglichkeiten und Förderungen. Sie fliegen auch oft unter dem Radar, da sie häufig nur in den unteren Ligen vom Trainings- und Spielbetrieb partizipieren. Und dies ist ein kleiner Teufelskreis, da so der Basketball keine große Priorität bei den jungen Spielerinnen genießt, was mitunter zu einer Verschiebung der persönlichen Interessen führt. Ich denke, es ist an der Zeit, in der Frauenförderung ein neues Konzept auszuarbeiten. Ich würde mit den Deutschen Meisterschaften der Frauen anfangen und dort auch eine Meisterschaft für U25-Spielerinnen einführen. Praktisch ein Pendant zum JLP.
Gibt es noch etwas?
Des Weiteren würde ich mir wünschen, dass mehr Vereine, wie Köln und Berlin, ebenfalls ein Damenteam melden, um den jungen Spielerinnen Spielerfahrung zu geben.
Welche Wünsche hast du bzw. hegst du, wenn es um die persönliche Entwicklung deiner Damen geht?
Persönlich wünsche ich mir für sie, dass sie der Rollstuhlbasketball genauso begeistert und prägt, wie er es bei bzw. mit mir getan hat, und zwar über das Sportliche hinaus. Sie daraus Selbstbewusstsein ziehen, das ihnen in allen Lebenslagen weiterhilft.
Und sportlich?
Sportlich wünsche ich ihnen, dass sie die Freude und den Spaß an der tollsten Sportart der Welt nicht verlieren – auch in schwierigen Zeiten, da sich nur so sportlicher Erfolg einstellt. Und ich bin überzeugt, dass so auch der einen oder anderen der Sprung in die Nationalmannschaft gelingt.
Nora, vielen Dank und viel Erfolg in Frankreich.
Interview: Martin Schenk | Foto: Steffie Wunderl