Jens Eike Albrecht ist seit Jahren fester Bestandteil der deutschen Rollstuhlbasketball-Nationalmannschaft und der RSB Thuringia Bulls. Im ausführlichen Interview plaudert der 31-jährige Midpointer über seine persönliche Entwicklung als Mensch und Sportler in den letzten zehn Jahren. Des Weiteren spricht der 3,0-Punkte-Mann über seine Rolle bei den Bulls und im Team Germany, seine Dankbarkeit gegenüber seinen Eltern sowie das prägende Umfeld in Elxleben.
Jens, lass uns eine kleine Zeitreise machen. Wir beamen uns zurück ins Jahr 2012. Wenn wir den Jens von vor zehn Jahren, mit dem Jens von heute vergleichen, was sind die größten Veränderungen, die der Mensch und der Sportler Jens Eike Albrecht vollzogen hat?
Am meisten verändert hat sich die Regenerationszeit, die mein Körper benötigt, um sich zu erholen. Die alten Knochen sind deutlich nachtragender (lacht). Aber mal im Ernst, sportlich gesehen habe ich mich mit dem Sport entwickelt.
Inwiefern?
Das Spiel ist physischer und schneller geworden. Prinzipiell hat mir das schnelle, körperliche Spiel immer gut gelegen. Dies sind bis heute meine großen Stärken. Der Basketball ist seit über elf Jahren mein Lebensmittelpunkt, und alles andere muss sich bis zum heutigen Tage unterordnen. Womit wir auch schon zum persönlichen Teil kommen. Da gab es über die Jahre viele Veränderungen.
Welche genau?
Zum einen bin ich deutlich selbstbewusster und reflektierter geworden. Ich versuche die Dinge immer aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, um mir dann eine Meinung zu bilden.
Und zum anderen …
… habe ich gelernt, gewisse Dinge einfach zu akzeptieren und keine Zeit und Energie darauf zu verschwenden, mich darüber zu echauffieren. Und unter uns und hinter vorgehaltener Hand: Ich rege mich dennoch zu viel auf (grinst). Eine gewisse Demut finde ich, ist, bei all dem, was mir das Leben und der Sport erlaubt, durchaus angebracht.
Jens Albrecht nimmt einhändig Maß – Foto: Patrick Harazim
Das ist eine klasse Einstellung, wie ich finde. Nächster Punkt: Es ist Fakt, dass ein Mensch vom direkten Umfeld geprägt wird. Jetzt spielst du die letzten Jahre bei einem der europäischen Topklubs. Wie würdest du diese kompetitive Umfeld Außenstehenden beschreiben?
Mein komplettes Leben ist auf Basketball ausgerichtet. Alles andere wird um diese Termine herum organisiert. Ob das jetzt Freunde, Familie oder das Studium sind. Es bedarf vieler Abstriche in diesen Bereichen, aber das ist in jeder Sache so, die man mit Leidenschaft und Profession betreiben möchte. Nach einer Trainingseinheit denke ich schon wieder an die nächste, und ich überlege, wie ich auf die anstehenden Herausforderungen bestmöglich vorbereitet sein kann. Wir trainieren unter der Woche jeden Abend, mitunter zweimal täglich. Hinzu kommt, dass wir am Wochenende in ganz Deutschland unterwegs sind. Da fallen viele Tätigkeiten und Aktivitäten einfach hinten runter, weil sie die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen können. Ein “heute machen wir mal langsam” gibt es bei uns nicht, weil alle so ehrgeizig sind. Alle im Team wollen immer und bei jeder Gelegenheit Topleistungen erbringen.
Lass uns bei Topleistungen bleiben. Die Leistungsfähigkeit eines Athleten wird auch durch den Trainer beeinflusst. Welchen Impact hatte Michael Engel die letzten Jahre auf dich? Kannst du das definieren?
Ich kenne Michael noch aus Zeiten, in denen er den Basketball Club Erfurt trainiert hat. Uns verband schon damals die Liebe für den Sport und die New York Knicks. Bei Letztgenanntem bin ich mittlerweile ausgestiegen, und zwar aus persönlichen Gründen (zwinkert). Micha ist im positiven Sinne basketballverrückt und beschäftigt sich sehr viel mit dem Sport. Er ist ein sehr ehrgeiziger Mensch und Trainer, der immer versucht “ahead of the game” zu denken und seine Vision vom “Wie” immer weiterentwickelt. Ich habe immer viel Spielraum für meine persönliche Entfaltung auf dem Spielfeld, und ich erhalte seine Rückendeckung und Unterstützung.
Wir waren jüngst beim Lehrgang der Nationalmannschaft in Großwallstadt. Dort durfte ich einen explosiven Jens Albrecht im Stuhl erleben. Beim Screening hast du Vollgas mit deinem Sportgerät gegeben. Wie haben sich deine Geschwindigkeit und dein Chairskills die letzten Monate entwickelt?
Ich habe über den Sommer hinweg relativ viele Gewichte geschubst, und zwar in der Hoffnung, noch etwas an Physis herausholen zu können.
Was dir meines Erachtens auch gelungen ist.
Ja, ich denke bei dem hohen Niveau in der deutschen Nationalmannschaft sind die Verbesserungssprünge objektiv nur noch recht klein, können jedoch auf dem Spielfeld hier und da nochmal einen Unterschied machen. Einen großen Unterschied machen der Rollstuhl und das dazugehörige Setting. An dieser Stelle nochmal ein herzliches Dankeschön an das gesamte Team von RGK, Sunrise Medical und vor allem an Errol Marklein für die professionelle Unterstützung.
Das wird Errol und die Sunrise-Crew freuen. Zurück zum Sport: Was möchtest du an deinem Spiel noch verbessern?
Speziell verbessern möchte ich immer meine offensive Gefährlichkeit.
Warum?
Nun, es ist wichtig, dass man an beiden Enden des Spielfeldes Höchstleistung erbringt, weil man damit dem Team am besten helfen kann, um zu gewinnen. Generell kann ein Spieler immer in allen Bereichen etwas verbessern. Jeden Tag besser sein als am Vortag. Das ist wichtig und entscheidend, nicht nur im Basketball. Ich versuche immer wieder etwas Neues hinzuzufügen, was sich dann irgendwann auf dem Spielfeld bemerkbar macht.
Lass uns den Court verlassen uns ins vertraute Umfeld wechseln. Deine Eltern haben dich dein Leben lang begleitet. Sind auch bei den Spielen dabei. Was fällt dir spontan ein, wenn du an deine Mutter denkst? Und was, wenn du an deinen Dad denkst. Was haben beide dir vermittelt?
Spontan kommt immer mit dem ersten Gedanken ein Gefühl der tiefen Dankbarkeit für die Unterstützung, die ich bisher erfahren habe und immer noch erfahre. Sie haben mir ermöglicht, der Sportler und vor allem Mensch zu sein, der ich heute bin. Ein paar Zeilen Text können dem nicht gerecht werden.
Das verstehe ich. In Köln habt ihr euch mit der Natio jüngst mit den Japanern duelliert. Was nimmst du für dich aus den Partien mit?
Wir hatten eine sehr intensive Trainingswoche, mit sehr vielen neuen Eindrücken, welche mit den besagten Testspielen gegen Japan endeten. Alle drei Spiele konnten wir, teils sehr deutlich, für uns entscheiden. Aus den Partien können wir eine Menge Selbstvertrauen mitnehmen und wissen, was wir im Stande sind zu leisten. Dabei ergaben sich jedoch auch eine Menge Entwicklungspotenziale, an denen wir noch arbeiten können und müssen. Für mich persönlich waren einige wertvolle Erfahrungen mit dabei, welche ich jetzt in den Rest unserer Saison mitnehmen werde.
Beim Laktattest: Jens Albrecht gibt Vollgas beim Nationalmannschaftslehrgang in Großwallstadt – Foto: Patrick Harazim
Kannst du uns deine Rolle bei den Bulls und im Team Germany beschreiben? Sind beide Aufgabenstellungen identisch resp. was ist die Erwartungshaltung eines Michael Engels und eines Nicolai Zeltinger an dich?
Die Aufgaben und Rollen verschieben sich immer mit der Konstellation des Teams. Das ist immer dann der Fall, wenn ich vom Verein in die Nationalmannschaft und umgekehrt wechsel, aber auch wenn sich einfach nur die Line-Ups auf dem Spielfeld ändern. Prinzipiell herrscht aber weitestgehend Konsens über meine Stärken und Schwächen und somit ähneln sich meine Rollen in beiden Teams. Immer wieder ist es eine Adaption an neue Situationen. Eine Besonderheit besteht darin, dass man sehr viel weniger Zeit hat, sich in der Konstellation Nationalmannschaft anzupassen und einen guten “Flow” mit seinen Teamkollegen zu entwickeln.
Vom Team Germany nach Elxleben: Im Dezember geht’s mit der RBBL weiter. Unter anderem geht’s im ewig jungen Duell gegen Wetzlar. Wie bereitest du dich „kopfmäßig“ auf dieses Spitzenduell vor?
Bevor wir Lahn-Dill im Dezember zuhause antreffen, haben wir noch ein schweres Auswärtsspiel in Hannover zu absolvieren.
Das hab‘ ich doch tatsächlich unterschlagen. Asche über mein Haupt. Das heißt für dich resp. euch?
Dass wir uns erst einmal mit der Vorbereitung auf dieses Spiel beschäftigen. Was danach kommt, sehen wir dann. Die jetzige Bundesligapause ist Fluch und Segen zugleich, und man wird abwarten müssen, welches Team sich mental besser darauf einstellen wird. Eine spezielle Vorbereitung habe ich persönlich nicht.
Abschlussfrage und Hand aufs Herz: Wie macht sich André Bienek als Co-Trainer? Musstest du dich auf die neue Rollenverteilung einstellen?
André arbeitet sehr akribisch. Er bringt immer wieder spielnahe Inputs ins Training ein, was uns als Kollektiv, gerade auf lange Sicht, weiterbringt. Es ist mit Sicherheit eine Umstellung, jedoch im positiven Sinne. Ich habe André auch schon in seiner aktiven Zeit sehr respektiert und versucht, viel umzusetzen, was er mir mit auf den Weg gebracht hat. Schlussfolgernd hat sich nur die Perspektive etwas geändert.
Jens, danke für den Plausch.
Interview: Martin Schenk | Header-Foto: Franziska Möller