Interview mit Dirk Lösel: “Ziel muss es sein, ein ausgewogenes Verhältnis an Stabilität und Mobilität herzustellen”

Statt einer klassischen Interview-Einleitung zum Gespräch mit Dirk Lösel, gibt’s als Teaser die amazon-Produktbeschreibung” seines Buches Stark im Rollstuhl: “Er arbeitet seit über 25 Jahren im Spitzensport und hat sich ein umfangreiches Wissen in den Bereichen Sportphysiotherapie und Athletiktraining angeeignet. Seit 2015 unterstützt er die deutsche Rollstuhlbasketball-Nationalmannschaft der Herren im athletischen Training. In der Therapie und im täglichen Training steht die Förderung der Leistungsfähigkeit vor der Überforderung. Die Qualität der Bewegung ist relevanter als die Quantität.” Wir haben Mr. “Fit im Rollstuhl” nach seinem Wochenende bei der U19-Nationalmannschaft zum Gespräch gebeten, um Einblicke in seine Arbeit mit dem Rollstuhlbasketball-Nachwuchs zu gewinnen.

 

Dirk, letztes Wochenende warst du beim U19-Lehrgang des Team Germany in Lobbach. Wenn ich dir jetzt eine Skala von eins bis zehn an die Hand gebe, um den Fitness- und Leistungszustand der jungen Kerle einzuordnen, mit welcher Zahl würdest du die “Grundfitness” aller Anwesenden bewerten? 

Die Spannbreite dessen, was „die Jungs“ im athletischen Bereich können, variiert noch sehr stark. Das lässt sich aus verschiedenen Gründen nicht mit einer Zahl bewerten. Zum einen muss man wissen, dass die Alterspanne von 13 bis 18 Jahren stark auseinander geht. Zum anderen waren einige dabei, die, was athletisches Training anbelangt, kaum Vorerfahrung hatten. Was aber alle mitgebracht haben ist Motivation, Einsatzbereitschaft und eine Menge Energie. Das ist die beste Basis, um sich in den Bereichen Kraft, Schnelligkeit, Ausdauer, Koordination und Beweglichkeit zu einer Zehn auf der Skala hin entwickeln zu können.

 

Das hört sich super an. Wenn du die drei wichtigsten bzw. grundlegenden physischen Eigenschaften eines jungen Rollstuhlbasketballers benennen müsstest, an denen er immer arbeiten muss, welche wären das? Und warum?

Ziel muss es sein, ein ausgewogenes Verhältnis an Stabilität und Mobilität herzustellen. Dabei sollten Bereiche wie die Lendenwirbelsäule, Schulterblätter und Ellenbogen ein hohes Maß an Stabilität erzeugen. Brustwirbelsäule, Schulter und Handgelenk sollten eher mobil sein. Das bietet dann beste Voraussetzungen um „Power“ zu generieren, was wiederum die Basis darstellt, um schnell zu sein.

 

Kannst du der Community einen kurzen Abriss geben, wie dein Training bzw. deine Einheiten in Lobbach aussahen? 

In einem Auftaktlehrgang versucht man zunächst die Wichtigkeit und Notwendigkeit von athletischem Training zu vermitteln. Für mich muss ein Spieler bzw. eine Spielerin immer wissen, warum er resp. sie eine Übung macht, da sich daraus Motivation und Nachhaltigkeit entwickeln. Atmung und Augenbewegung sind wichtige Themen, wenn es um Training mit und im Rollstuhl geht. Hier habe ich einen ersten Einblick in meine Philosophie von S.A.M. – Sensibilisieren | Aktivieren | Mobilisieren gegeben. Das Warm-up und ein Athletik-Zirkeltraining waren weitere Bausteine dieses Tages.

 


Dirk Lösel im Austausch mit der U19-Nationalmannschaft – Foto: privat


Wie muss sich der Außenstehende deine Kommunikation mit Sebastian Wolk und Thorsten Schmid vorstellen? Geht ihr nach dem Lehrgang Spieler für Spieler durch?

Sebastian und Thorsten war für den Auftaktlehrgang wichtig, dass die Jungs eine Idee davon bekommen, was Athletik-Training bedeutet. Dass es mehr sein kann, als nur Kraft zu trainieren. Insbesondere die Verletzungsminimierung durch gezielte und individuelle Übungen auf der Grundlage eines athletischen Screenings standen dabei im Vordergrund. Für die Zukunft erhoffe ich mir, dass wir bereits mit der U19 ein Athletik-Screening machen können, um möglichst frühzeitig Daten in puncto Leistungsfähigkeit zu erfassen und im Laufe der Jahre vergleichen zu können. Im Anschluss an ein solches Screening würden wir jeden einzelnen Spieler besprechen und Trainingsziele formulieren.

 

Du bist ja in den unterschiedlichsten Nationalmannschaften unterwegs. Wie passt du deine Übungen bzw. dein Programm auf das unterschiedliche Alter und die verschiedenen Behinderungen an? Kannst du uns einen kurzen Abriss geben?

Progression und Regression von Übungen an die individuellen Bedürfnisse von Sportlerinnen und Sportlern stellt eine große Herausforderung, insbesondere im Training mit Menschen mit Einschränkungen, dar. Dabei gilt es herauszufinden, wie ich ein Bewegungsmuster abwandeln muss, damit es für die betroffene Person mit einer guten Bewegungsqualität auszuführen ist, aber trotzdem eine gewisse Herausforderung darstellt. Das gelingt oft sehr gut, manchmal ist es aber auch ein Trial-and-Error, da bin ich ganz ehrlich.

 

Jüngst ist dein Buch “Stark im Rollstuhl” erschienen. Warum lohnt sich für sportliche Rollstuhlfahrer ein Blick in dein Werk? 

Weil es motivierten Rollstuhlfahrern Möglichkeiten aufzeigt, und zwar ohne große Hilfsmittel und ohne Fitnessstudio, etwas für ihre Gesundheit zu tun. Überlastungen der Schulter und des Rückens vorzubeugen und Spaß am Athletiktraining zu entwickeln.

 

Zu guter Letzt: Welchen “Fitness-Ratschlag” deines Mentors, deines Vorbilds oder deiner Oma beherzigst du noch heute?

„Es kommt im ersten Schritt nicht darauf an was Du trainierst, sondern dass Du trainierst, und zwar regelmäßig und mit Spaß“ – Bill Foran / Strength and Conditioning Coach des NBA Teams Miami Heat.

 

Dirk, vielen Dank für deine Zeit.

 

Interview: Martin Schenk | Foto: privat

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