Eine Stadt, die seit vielen Jahren mit ein und demselben schlechten Witz leben muss, ist kurz vor der jährlichen Bundesligaversammlung im deutschen Rollstuhlbasketball Reizthema Nummer eins der Szene – und gleichzeitig Grund für Magengeschwüre bei allen Befürwortern von Aufschwung, Modernisierung und strategischer Entwicklung. Okay okay, ihr habt Recht, die Stadt Bielefeld selbst kann jetzt nicht wirklich was dafür. Vielmehr ist es ein kleiner Verein aus der 2. Rollstuhlbasketball-Bundesliga Nord der so genannte Generalisierungstendenzen in der Paralympischen Sportart mit dem orangenen Leder ausmacht. Generalisierungstendenzen? Ich werde dieses Wort höchstpersönlich bei der Wahl zum Unwort des Jahres 2015 einreichen.
Ich gebe zu: Ich bin kurz davor, mich in Rage zu texten und hacke wie ein Kolibri im LSD-Rausch auf meine Laptop-Tastatur ein.
Die Nord-Staffel kürt sich zum gallischen Dorf
Was war passiert? Kurz vor dem Entscheidungsgremium der Rollstuhlbasketball-Bundesligisten am 10. Mai 2015 im hessischen Wetzlar veröffentlichten die SG Ahorn Panthers Bielefeld / Paderborn eine Stellungnahme auf ihrer Internetpräsenz (sorry für den Einstieg Bielefeld – ich dachte, Paderborn hatte schon genug Schlagzeilen dank den ProA-Basketballern und ihrem Windows-Update). Die Verantwortlichen der rollenden Raubkatzen (hach, Inka Bause wäre sooo stolz auf mich!) machten in ihrem Blogpost deutlich, dass sich die Nordstaffel der 2. Rollstuhlbasketball-Bundesliga bereits 2014 selbst zum gallischen Dorf gekürt hatte und auch 2015 erneut zur guten alten Revolte gegen die High-Society aus Wetzlar, Hamburg oder Elxleben ausrufen wird: „Lange Zeit war es für alle Vereine eine lästige Pflichtveranstaltung zum lässigen Abnicken der Tagesordnungspunkt. Aber schon im letzten Jahr scherte die zweite Bundesliga Nord aus der Gewohnheit aus die vorgefassten Änderungen der Erstligisten bedingungslos zu akzeptieren. Erstmalig forderte der Norden eine getrennte Abstimmung zu einem bereits gefassten Punkt der Spielordung ein.“ Guiding the Revolution, Bitches!
Was für ein ausgemachter Schwachsinn. Der basisdemokratisch organisierte Rollstuhlbasketball ist von Generalisierungstendenzen (Gott, wie mich dieses Wort nervt!) so weit entfernt, wie Dirk Nowitzki von einem Wechsel zu den New York Knicks oder der Hamburger SV von einem neuen Tor-Rekord in der Fußball-Bundesliga. Und natürlich ist es eben genau diese Demokratie, die die Entwicklung des Rollstuhlbasketballs in Deutschland (noch) hemmt. Ein strategischer Kopf (nein, er muss keine hochgestellten blonden Haare haben), realistische Ziele und ein entsprechender Masterplan samt Vision würden nicht nur drei Ausrufezeichen hinter die stärkste Liga Europas setzen, sondern das spektakulärste Spiel auf Rädern in den nächsten Jahren in die Bereiche des Volleyballsports oder auf das finanzielle Niveau der ProB katapultieren. Was nicht hilft: basisdemokratische Entscheidungen, bei denen einzelne Teams oder ganze Staffeln aus der Reihe tanzen. Was noch weniger hilft: Diese ablehnende Haltung öffentlich Kund zu tun.
Über die Köpfe der Zweitligisten hinweg?
Doch zurück zum Antrag von Baghiras Brüdern aus der Stadt, die es nicht gibt. „Über die Köpfe der Zweitligisten hinweg werden organisatorische Angelegenheiten entschieden, die für die Außendarstellung der ersten Liga sinnvoll und effizient sind.“ Ich habe nochmal genau nachgezählt: Zehn Teams kämpfen in der 1. Rollstuhlbasketball-Bundesliga um Punkte, jeweils acht in den zweiten Ligen. Ich war und bin in Mathematik bei Weitem keine Leuchte (an dieser Stelle herzliche Grüße an meine ehemalige Mathe-Lehrerin Frau Stegmayer!) – dennoch ergibt sich aus dieser einfachen Rechnung bei einer basisdemokratischen Abstimmung und Anwesenheit aller Beteiligten ein Vorteil von 16:10 für die Teams der 2. RBBL. Auch wenn die Reserven aus Lahn-Dill und Frankfurt gemeinsam mit ihren Bundesligisten stimmen, haben wir immer noch ein Gewinnverhältnis von 14:12 für die „Köpfe der Zweitligisten“.
Kämpft für eure Ideen – aber doch bitte hinter verschlossenen Türen!
Die ablehnende Haltung der Ahorn-Panthers sowie weiterer Nordligisten manifestiert sich am Service von Keyscout, dem Scouting-Portal der Rollstuhlbasketball-Bundesligen, sowie der Einführung eines dritten Unparteiischen. “So formierte sich der Basketball-Norden im Vorfeld der Versammlung zum Thema KeyScout und Einführung des dritten Schiedsrichters. Heraus kam ein einseitiges Mehrheitsvotum für eine Beibehaltung der SMS-KeyScout-Variante (mit freiwilligem Online-KeyScout) und eine Einstimmigkeit zur Möglichkeit der Anforderung des dritten Schiedsrichters auf Antrag.” Nicht böse sein, aber alleine, dass man sich vor dem höchsten Gremium der Sportart als Region “formiert” habe ich zum letzten Mal auf ehrenamtlicher Basis im Katastrophenschutz einer Hilfsorganisation gesehen, in der die Tagesordnungspunkte mehr mit Stammtischmentalität zu tun hatten, als mit Leben retten. Sprecht euch gerne ab, noch besser: Habt eine eigene Meinung und akzeptiert nicht alles, kämpft für eure Ideen. Aber doch bitte nicht öffentlich. Oder was wirft das gleich nochmal für ein Bild auf die Außendarstellung des Sports bzw. der Ligen? Uneinigkeit? Streit? Amateursport?!
Ohne Frage, das Thema Keyscout in seinem aktuellen “Zustand” ist natürlich zu besprechen. Vor allem was Handling, Umfang und Fehlerquellen angeht. Das haben wir in unserer sechsten Print-Ausgabe getan und uns dafür mit Vereinsvertretern, Liga-Verantwortlichen und den Machern von Keyscout ausgetauscht. Aber jetzt mal Butter bei die Fische: Ihr wollt doch alle professionell sein und wahrgenommen werden – sogar in Bielefeld und Paderborn. In diesem Zusammenhang überhaupt die Thematik Live-Scouting zu diskutieren ist ungefähr so zeitgemäß, wie in Zeiten von Persicope, Netflix oder Amazon Instant Videos noch den Sendersuchlauf zu starten um “RTL Nitro” auf den fucking Senderplatz Acht zu legen.
Deal bleibt eben Deal
Übersetzt man abschließend mal die Forderung der SG Ahorn Panthers Bielefeld/Paderborn, dann ist das ein Schlag ins Gesicht der Keyscout-Macher. Da stellt ein IT-Dienstleister seine Ressourcen und sein Produkt nahezu für lau zur Verfügung und alles was er bekommt, ist eine “Formierung, die Angst vor Generalisierungstendenzen” hat? Blicken wir doch mal kurz auf die Kooperationen, die die Revoluzzer aus dem Norden so anbieten: Eine Sponsoring-Bande bei den Panthers kostet 600,00 € pro Saison, eine Trikotpartnerschaft liegt bei 1.500,00 €. Ob die Panther hier ihre Gegenleistung für einen solchen Deal auch nicht erfüllen? Eine Hand wäscht – ihr wisst schon.
Zum Ende meiner Überlegungen beruhigt sich mein Puls überraschend schnell wieder. Warum? Nun ja, unser gallisches und namenloses Dorf möchte laut Sponsoren-Werbung auch möglichst bald zu den Erstligisten gehören, die dann Generalisierungstendenzen an den Tag legen und dann einfach so über die Köpfe der Zweitligisten hinweg bestimmen. Aber wer weiß, vielleicht scheitert der Aufstieg ja nicht an der sportlichen Konkurrenz, sondern daran, dass in der 1. RBBL das Live-Scouting und sogar der dritte Schiedsrichter bereits verpflichtend sind?
Ich geh auf jeden Fall erstmal in den Zoo. Vielleicht gibt es dort ja Kolibris auf LSD – Panther sind mir einfach zu langweilig.
ein persönlicher Kommentar von Rollt.-Chefredakteur Sven Labenz