Hannover: Teammanager Schulz im Interview: “Das ist eine große Auszeichnung für Hannover United”

Der Macher hinter den Kulissen spricht im Interview über eine inkonstante, aber erfolgreiche Hinrunde, die Abstellung von acht United-Spielerinnen und Spielern für die anstehende Europameisterschaft in Madrid sowie die Aussicht auf die RBBL1-Rückrunde und die EuroLeague in Hannover.

Udo Schulz (57) ist seit 2015 Teammanager von Hannover United. Der ehemalige Weltklasse-Faustballer blickt auf eine große sportliche Karriere zurück. Schulz ist 19-facher deutscher Meister, elffacher Europapokalsieger und zweifacher Weltpokalsieger. Mit der Nationalmannschaft holte er zwei Europa- und drei Weltmeistertitel und gewann einmal die World Games. Nach seiner aktiven Zeit hat er mehrere Trainerstationen in der Faustball-Bundesliga bekleidet und war einige Jahre Bundestrainer. Hauptberuflich führt Schulz in Hannover-Döhren eine Sportmarketing Agentur. Im Interview spricht der Teammanager über die inkonstante, aber erfolgreiche Hinrunde von Hannover United, die Glücksgriffe mit Jan Gans und Amit Vigoda, die große Zahl von Nationalspielerinnen und Nationalspielern von Hannover United bei der anstehenden Europameisterschaft sowie die Ausrichtung des EuroLeague-Turniers im März.

Kurzer Rückblick aufs vorvergangene Wochenende: Zum Abschluss der Hinrunde in der 1. Rollstuhlbasketball-Bundesliga hat Hannover United den RSB Thuringia Bulls beim 66:77 einen harten Kampf geliefert. Acht Minuten vor Schluss hat Jan Haller das Team sogar noch in Front geworfen. Ist Hannover United so stark oder war das ein Ausreißer nach oben?
Meiner Meinung nach haben wir beim Spiel gegen die RSB Thuringia Bulls gezeigt, welches Potenzial in unserer Mannschaft steckt. Sie hat eine sehr starke Leistung gezeigt und ich denke, dass wir uns auf einem sehr guten Weg befinden. Wir hatten aufgrund der Paralympics eine sehr kurze, nicht gerade einfache Vorbereitungszeit. Dazu kam ein größerer personeller Umbruch mit der Verpflichtung von Jan Gans und den Comebacks von Mariska Beijer und Christoph Lübrecht nach einjähriger Corona-Pause. Im November haben wir mit Amit Vigoda noch einen Spieler verpflichtet, der Teil des Teams werden muss. Diese Faktoren haben eine große Rolle bei der inkonstanten Hinrunde gespielt. Wir hatten gute Spiele dabei, wie das Spiel gegen Thüringen, hatten aber auch ein bis zwei schwache Spiele, beispielsweise das Heimspiel gegen die RBC Köln 99ers. Persönlich bin ich optimistisch, dass wir in der Rückrunde an die guten Leistungen anknüpfen können und mit mehr Konstanz auftreten.

Stellen wir dem Thüringen-Spiel also die Niederlage gegen die RBC Köln 99ers mit Joe Bestwick gegenüber. Der Tiefpunkt der Saison?
Das war definitiv das schlechteste Spiel, das wir seit langem gemacht haben. Solange wie ich bei Hannover United bin, kann ich mich an so eine schlechte Trefferquote nicht erinnern. Viele Spielerinnen und Spieler waren weit von ihrer Leistung entfernt. Für mich ist es wichtig, dass das Team nach vorn schaut und daraus lernt. Ändern können wir den Ausgang nicht mehr. Natürlich haben wir intern über das Spiel gesprochen. Was die Mannschaft am darauffolgenden Wochenende in der ersten Halbzeit gegen den BBC Münsterland gezeigt hat, war genau die richtige Antwort. Das hat mir gezeigt, dass die Mannschaft gut mit derartigen Rückschlägen umgehen kann.

Zum Ende der Hinrunde steht Hannover United mit vier Siegen und vier Niederlagen auf dem vierten Platz der Tabelle. Der würde am Saisonende für die Playoffs reichen. Bist du mit dem Verlauf zufrieden?
Ja, ich bin sehr zufrieden. Wir kommen aus einer schwierigen Vorbereitung. Diese Saison dürfen wir endlich wieder vor Zuschauern spielen, das bereitet uns große Freude. Ich kann sagen, dass das Teamgefüge sehr intakt ist. Sie haben viel Ehrgeiz in der Mannschaft, erleben zusammen aber auch viel Freude und Spaß. Mein Wunsch vor der Saison war es mit fünf Siegen in die Winterpause zu gehen, was leider nicht funktioniert hat (lacht). Allerdings stehen wir auf dem vierten Platz und ich bin davon überzeugt, dass wir die Playoffs erreichen werden.

Nach der Bundesliga ist vor der Nationalmannschaft. Direkt nach dem Thüringen-Spiel sind acht Spielerinnen und Spieler plus Coach Martin Kluck zu ihren Nationalteams gefahren. Bei den Männern stehen neben Jan Sadler, Jan Haller und Tobias Hell auch Oliver Jantz und Alexander Budde im Kader für die Europameisterschaft in Madrid (4. bis 12. Dezember). Damit stellt United die größte Gruppe in Team Germany. Was schätzt der Nationaltrainer an den United-Spielern?
Das ist eine schwierige Frage (lacht). Sicherlich haben wir viele deutsche Spielern im Kader. Und es spielt auch eine Rolle, dass die Mannschaft sehr athletisch ist und spieltaktisch gut ausgebildet wurde, um auf internationalem Niveau zu überzeugen. Das Lob geht an unseren Trainer Martin Kluck, mit dem wir großes Glück haben. Über die Jahre haben wir viele junge, talentierte Spieler entwickeln können. Wir sind natürlich auch stolz, dass wir aktuell den Großteil der Herren-Nationalmannschaft stellen.

Seit Mittwochabend ist klar: Auch Vanessa Erskine fährt zur EM. Frauen-Bundestrainer Dirk Paßiwan hat sie für die Nationalmannschaft nominiert. Mit Paralympics-Siegerin Mariska Beijer (Niederlande) und Zugang Amit Vigoda (Israel) sind zwei weitere United-Akteure in Madrid am Ball. Für einen kleinen Verein wie Hannover eine schöne Bestätigung für die Arbeit, oder?
Ich freue mich für Vanessa, da es für sie persönlich eine große Anerkennung ist. Vanessa zeigt in dieser Saison einen vorbildlichen Einsatz im Training und im Spiel. Rollstuhlbasketball lebt von Line-Ups und obwohl es für sie derzeit relativ wenig Spielzeit gibt, ist sie niemals müde, bringt sich in das Team ein und zeigt auf und neben dem Feld ihre Spielintelligenz. Dass United auch international zwei Spieler stellen darf, ist großartig. Für uns als Verein ist es eine hohe Anerkennung, dass wir mit Mariska Beijer die auf ihrer Position wahrscheinlich beste Frau im Rollstuhlbasketball weltweit in unseren Reihen wissen. Mit Amit Vigoda haben wir einen jungen, talentierten und ehrgeizigen Spieler gewonnen. Es ist ein gutes Ergebnis, mit acht Spielerinnen und Spielern zu einer Europameisterschaft zu fahren. Dies zeigt die positive Entwicklung der Mannschaft. Daran müssen wir weiterarbeiten. Es braucht weiterhin gute Leistungen und Erfolge, damit man für international erfolgreiche Spielerinnen und Spieler interessant bleibt.

Es gibt bei aller Freude auch eine andere Seite der Medaille: Viel Zeit zum Ausruhen ist da nicht. Hast du Sorge, dass sich die dauerhafte Belastung in diesem Kalenderjahr negativ auswirkt?
Zuerst muss ich meinen großen Respekt an die Spielerinnen und Spieler aussprechen. Was die momentan leisten mit den Paralympics in Tokyo, der Bundesliga-Hinrunde, jetzt die Europameisterschaft in Madrid – das zehrt enorm an den Kräften. Ich hoffe, dass sie in der kurzen Pause schnell zur Ruhe kommen und die freien Tage über Weihnachten zur Regeneration nutzen. Es geht darum, körperlich und mental Kraft zu tanken. Um auf die Frage mit der hohen Belastung zurückzukommen: Ich hoffe, dass die Leistungsbereitschaft und Fröhlichkeit, die in der Mannschaft steckt, helfen wird, schnell die nötige Energie aufzubringen, um die gewohnte Leistung abzurufen. Wir planen für Anfang Januar ein kleines Trainingslager in Hannover, wo Martin gut dosiert mit dem Team arbeiten wird, damit wir gut in die Rückrunde starten können.

Der Verein hat Mitte Oktober sehr überraschend Amit Vigoda verpflichtet. Wie ist Hannover United auf ihn gekommen und warum ging es plötzlich ganz schnell?
Wir hatten Amit schon länger im Blick. Ende der vergangenen Saison kam es zur ersten Kontaktaufnahme von unserer Seite. Damals hat es mit einer Verpflichtung nicht funktioniert, darum haben wir die Pläne um ein Jahr verschoben. Dann hat es doch früher funktioniert, worüber wir froh sind. Die Verhandlungen liefen gut, wir haben schnell eine Einigung erzielt. Das es mit der Spielberechtigung so schnell geklappt hat, ist der guten Zusammenarbeit mit den Behörden zu verdanken.

Die Centerposition war nach den Abgängen von Matthias Güntner und Joe Bestwick verwaist. Kurz vor Saisonbeginn hat Hannover United eine nicht unriskante Option mit Jan Gans gezogen, der nach zwei Jahren Rollstuhlbasketball-Abstinenz sich erstmals wieder in einen Sportrollstuhl gesetzt hat. Mit Amit ist ein 19-Jähriger während der Hinrunde gestoßen, der vorher noch nicht in Deutschland gespielt hat, in seinen drei Spielen ganz gute Ansätze gezeigt hat. Hat sich das Risiko bezahlt gemacht?
Ja, definitiv. Jan Gans ist ein Spieler, der gut in die Mannschaft passt. Durch seine humorvolle, lebensfrohe Art bringt er viel gute Stimmung in das Team. Zudem besitzt er einen hohen Basketball-IQ und arbeitet akribisch an seiner Leistung, wodurch er das gesamte Team nach vorn bringt. Amit ist ebenfalls ein großer Gewinn. Er arbeitet sehr hart an sich, ist ehrgeizig und bringt die nötige Frische in das Team. Ich hoffe, dass es uns gelingt, ihn von United zu begeistern, sodass wir länger Freude miteinander haben werden.

Durch den Umbruch liegt die Verantwortung jetzt auf mehreren Schultern. Was ist mit diesem Kader für die Rückrunde, die am 8. Januar mit einem Auswärtsspiel bei den Doneck Dolphins Trier beginnt, von Hannover United zu erwarten?
Vorhersagen zu treffen ist ja immer schwierig. Mein Gefühl sagt mir, dass wir besser zusammenwachsen und eine bessere Rückrunde spielen werden. Ich bin optimistisch, dass wir mit anhaltender Gesundheit, ohne große Verletzungen und gemeinsamer Geschlossenheit die Playoffs erreichen werden. Und dann werden wir unter den Voraussetzungen ein gutes Playoff-Halbfinale spielen und uns teuer verkaufen.

Vom 10. bis 13. März wird es international in Hannover. United richtet ein Vorrundenturnier in der EuroLeague2 aus. Eine Premiere mit mehreren Facetten. Zum einen gibt United sein EuroLeague-Debüt auf dem Feld. Zum anderen zieht der Klub für dieses Wochenende in die Sporthalle Gymnasiums Goetheschule in Hannover-Herrenhausen um. Was verspricht sich der Verein von diesen vier Tagen?
Zunächst muss man sich leider fragen, ob das Turnier bei der aktuellen Corona-Situation weltweit stattfinden kann. Dies sind Faktoren, die bei der Planung berücksichtigt werden müssen. Da wir mitten in den Vorbereitungen sind, ist es wichtig, keine Verpflichtungen einzugehen, bei denen man bei einer möglichen Absage nicht herauskommt. Das Zweite ist die Herausforderung eines kleinen Vereines, wie Hannover United, einen großen internationalen Wettbewerb zu organisieren und zu gestalten. Wir haben dies bewusst auf uns genommen, weil wir der Mannschaft die Option geben wollen, sich auf internationaler Bühne zu präsentieren. Für jede Spielerin und jeden Spieler ist dies von großer Wichtigkeit und ein besonderes sportliches Ziel. Mein persönliches Ziel ist, dass wir uns mit dem Vorrundenturnier in der großen Halle einer möglichst großen Öffentlichkeit präsentieren. Wir wollen den Hannoveranerinnen und Hannoveranern zeigen: Hey schaut mal, hier gibt es einen großartigen, faszinierenden Sport, schaut ihn euch an und lasst euch davon begeistern.

 

PM: Hannover United | Foto: Viviane Müller

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