Eine attraktive Blondine nimmt uns im „(Neu)Land der Inklusion“ an die Hand. Frau Gehlhaar ist Bloggerin, spricht offen über Sex und Behinderung, klärt auf und nimmt sich am Ende selbst gar nicht mal so ernst. Ihre Bewegung ist der Wortsport, ihre Skills der derbe Humor. Sie ist Sozialheldin, studierte Sozialpädagogin und misst mit ihren 1.68m gerade mal schlappe 1.40m im Rollstuhl. Mit uns hat sie über Gott und die Welt gesprochen.
Hinweis: Dieser Artikel erschien erstmalig im März 2015 Rollt. #6
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„Mein Bruder und ich wetten, wer der Mörder ist. Der Gewinner bekommt 10 Pupse frei. (Wir schlafen in einem Zimmer) #Tatort“. Auf Twitter beweist uns Laura Gehlhaar: sie ist Familienmensch. Entschuldigung, Frau Gehlhaar muss es natürlich heißen. Das förmliche „Sie“ zieht sie zumindest im Erstgespräch dem sportlichen „Du“ vor. Auch weil sie sitzend nur 1.40m groß ist und damit naturgemäß nicht immer auf Augenhöhe behandelt wird. Nebenbei bemerkt hat Körpergröße nichts mit Respekt zu tun. Ebenso wie das „Sie“, mag Frau Gehlhaar übrigens den dunklen Batman statt dem gutherzigen Adjutanten Robin. Und sie greift lieber zu salzigem Popcorn, als zu süßem. Warum auch immer. Fun-Fact: Wir haben mal eben ganz locker „Hey Laura“ geschrieben und dennoch ein Interview bekommen. Ha!
Trotz sehr lesenswertem Twitter-Account kann man Texte, Gedanken und Inspirationen der 32-jährigen in mehr als 140 Zeichen in diesem Internet lesen. Als Frau Gehlhaar bloggt sie seit Januar 2014 über das Großstadtleben und das Rollstuhlfahren. Über Inklusion, was für sie vor allem Chancengleichheit und Selbstverwirklichung bedeutet. Beim Online-Vote von Edel-Blogger Daniel Fiene schnappte sich die Blondine mal eben Platz zwei unter den besten Tagebuch-Bloggern dieses Landes. „Also ich würde meinen Blog lesen, weil ich viele Situationen aus meinem Alltag wieder erkenne“, sagt Laura, wie wir sie mittlerweile nennen dürfen. „Die Leute sollen nicht denken: Was? Noch so ein Behindi-Blog? Ich schreibe für andere. Ich lasse sie an meiner Erlebniswelt teilhaben.“ Und trotz, oder gerade weil 1.40m und im Rollstuhl sitzend, kommt natürlich wie bei jedem Blogger, Facebook-Status-Teiler, Insta-Regramer der eigene Geltungsdrang durch, gesteht sie uns ehrlich.
Klischees vermeiden & potentielle Tabu Themen ansprechen
In einer Schule, die ganz ohne Schülerzeitung auskommen musste, war Laura Gehlhaar die letzte Cola in der Wüste. „Ich wurde damals schon für meine Aufsätze in der Schule gelobt“, lacht die sympathische Bloggerin. „Die Leute fanden das cool und haben mich angetrieben, mehr zu machen.“ Rund 15 Jahre später, fasst sie den Entschluss, so etwas wie ein Online-Tagebuch – neu Deutsch: Blog – zu veröffentlichen. Doch nach der endgültigen Entscheidung, ihr Leben mit allem was dazu gehört, der Welt offen zu legen, vergeht fast ein weiteres Jahr. „Ich hatte auch Angst vor den Reaktionen“, gibt sie offen zu. Ihre Texte seien lösungsorientiert, sie möchte Menschen an die Hand nehmen. Zeigen, dass man im Rollstuhl alles und auch eben nichts sein kann. Ein Land der Chancengleichheit und der Inklusion. Und der erotischen Strahlkraft des dunklen Rächers Batman aus Gothman City. Kurz: Ein (Neu)Land für uns Otto-Normal-Verbraucher im Umgang mit Menschen mit Behinderung.
Mit dem Projekt „Leidmedien“ gibt Laura Gehlhaar Journalisten Tipps, wie man am besten keine Texte über Menschen mit Behinderung schreiben sollte und Klischees vermeidet (Pro-Tipp: „An den Rollstuhl gefesselt“ – geht gar nicht.). Zwischendurch googelt sie, wie man mit kurzem Rock als Rollstuhlfahrerin sexy aus dem Auto steigt. Im Hörfunk bei „DRadiowissen“ spricht Laura Gehlhaar, die seit neun Jahren im Rollstuhl sitzt, über Liebe, Sex und Behinderung. Ohne Frage ein Tabu-Thema, dem man sich offen, aber auch mit Humor nähern kann.
Apropos Humor. „Die Braut hat irgendeinen Schaden – ihr Rollstuhl ist es nicht.“, schrieb kürzlich eine Twitter-Kollegin über sie. Ich unterstreiche dieses Zitat über meine intelligente Gesprächspartnerin doppelt in meinem vollgekritzelten Notizbuch und male viele bunte Pimkie-Herzchen dran, um die Bedeutung nochmals zu verstärken. Obwohl Laura Gehlhaar pink genau so wenig mag, wie Shopping oder Fashion. Aber wer tunkt bitte Pizza in Apfelmus oder den Burger in den Erdbeer-Shake, ohne schwanger zu sein? Sie tut es. Warum? Weil sie es so am liebsten hat.
Behinderung als Inspiration? What the fuck!
„Humor ist auch dazu da, eine Wahrheit auszusprechen“, erklärt mir Laura Gehlhaar fast schon philosophisch. Immerhin hat sie Sozialpädagogik und Psychologie studiert. In den Niederlanden – was eigentlich fast schon wieder genügend Stoff (Ha!) für zahlreiche Kalauer bereit hält. Doch bei all dem Klamauk, dem fast schon hysterischen Lachen, der entwaffnenden Selbstironie bleibt Laura Gehlhaar ernst und auch (selbst)hinterfragend. Es ist ein Interview zwischen schwarzem Humor, tiefgründigen Worten und irgendwie etwas Nachdenklichkeit. „Wenn ich feiern bin, ernte ich Sprüche wie „Toll, dass du auch weg gehst. Du inspirierst mich!“. Was soll ich darauf antworten? „Ich finde es auch toll, dass du feiern gehst!?““, so die Wahl-Berlinerin, der Fremde oft anerkennend auf die Schulter klopfen, alleine weil sie existiert.
„Ich möchte für meine Taten und Erfolge Anerkennung bekommen und dafür diene ich auch gerne als Inspiration, aber niemals sollten mich andere für ihre Inspiration benutzen, nur weil ich eine Behinderung habe“, so Frau Gehlhaar, die eigentlich Laura heißt, Batman und salziges Popcorn liebt. „Meine Behinderung bringt mich womöglich in außergewöhnliche Lebenslagen. Ich habe nichts geleistet, um sie zu erwerben. Es ist nur eine prägende Eigenschaft, die zu mir gehört. And that’s all the news.“