Fünf Gründe, warum der deutsche Rollstuhlbasketball zuletzt an den Podiumsplätzen vorbeischrammte.

Fünf Gründe, warum der deutsche Rollstuhlbasketball zuletzt an den Podiumsplätzen vorbeischrammte.

Rollt.-Herausgeber Martin Schenk – mit einer persönlichen Sichtweise bzw. einem Kommentar – über die jüngsten Ergebnisse der deutschen Nationalmannschaften.

Grund 1: Nicolai Zeltinger

Solltet ihr mit den Ergebnissen der Herren-Nationalmannschaft und der Arbeit des Bundestrainers in den letzten 12 – 13 Jahren zufrieden sein, dürft ihr diesen Absatz überspringen und Punkt eins von fünf vergessen.

Einstein sagte mal: “Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.” Ich habe es, und hier greife ich meinem Schlusswort in der kommenden Rollt.-Ausgabe vor, in eine einzige Frage gepackt, die jeder Rollstuhlbasketball-Anhänger, der mit der Herren- und Bundestrainer-Performance hadert, für sich selbst beantworten kann:

Was soll Nicolai Zeltinger in den kommenden Wochen und Monaten anders machen, was er in den letzten knapp 12 Jahren seines Wirkens an der Herren-Spitze anders hätte machen oder aufbauen können?

Mir fehlen die Antworten und auch der Glaube, dass irgendetwas „anders“ gemacht wird oder werden könnte, was einen positiv-kurz- und langfristigen Effekt auf die Ergebnisse der Herren-Nationalmannschaft hätte.

Und solltest du zu der Gruppe gehören, die mit der Arbeit des Bundestrainers zufrieden ist – und du trotzdem bis zu diesem Satz weitergelesen hast-, dann frag dich bitte mal, warum du bis hierhin gelesen hast.

Grund 2: Mangelnde Selbstreflektion & Selbstkritik

Wann habt ihr mal ein öffentliches Wort der Selbstkritik aus den Mündern der Bundestrainer, der Verbände oder vereinzelter Spieler und Spielerinnen gehört? Ich kann mich aktuell an kaum welche erinnern. Das trägt nicht zur Vertrauensbildung bei. Kein Fan erwartet, dass Nicolai Zeltinger, Dirk Passiwan oder alle Spielerinnen und Spieler den Gang nach Canossa antreten, für jede Niederlage einen Kotau machen oder ihre Arbeit über die eigenen Social-Media-Kanäle oder Pressemeldungen schlechtreden. Was der Anhänger jedoch erwarten darf, ist eine transparente Aufarbeitung der sportlichen Ergebnisse großer Turniere. Muss dies öffentlich passieren? Nein. Sollte es dennoch gelegentlich getan werden, um die Fans abzuholen? Ja.

Grund 3: Worthülsen und Schönfärberei

Kopf hoch! Krone richten! Es sollte nicht sein! Wieder aufstehen! Nach vorne schauen! Wir haben den nächsten Schritt gemacht! Wir haben Erfahrung gesammelt! Wir lernen aus den Fehlern! Das Glück war uns nicht hold! Sieger der Herzen etc.!

Ganz ehrlich: Ich kann es nicht mehr lesen und hören. Die ständigen Aufmunterungsbekundungen, die nach der verpassten EM-Bronzemedaille der deutschen Damen und Herren zu hören und zu lesen waren. Diese inhaltsleeren Worthülsen schließen sich nahtlos in die pseudo-positive Aussagen-Dauerschleife nach der WM in Dubai oder den Paralympics in Tokio an. Was stets ausblieb: eine transparente Selbstreflektion bzw. das öffentliche Konkretisieren schwammiger Aussagen.

Welche der vielbeschworenen Entwicklungsschritte waren denn erkennbar? Weniger Turnover und mehr Treffer in Stresssituationen? Wurden mehr einfache Korbleger getroffen? Gab es mehr Einsatzzeit für junge Spieler und Spielerinnen? Hat sich die Geschwindigkeit im Stuhl bei allen erhöht? Waren die Lowpointer ein größerer Faktor, wie z. B. eine Lourdes Ortega im spanischen Dress im Spiel um EM-Platz drei? Haben alle Beteiligten ihr allerbestes gegeben, sowohl in der (privaten) Vorbereitung als auch auf dem Court? Nichts Genaues weiß man nicht. Nur Nebelkerzen und nichts Konkretes. Weil an Unkonkretem muss man sich nicht messen lassen.

Kein Fan und kein Zuschauer haben ein Problem damit, wenn ein Team verliert, es Fehler macht oder es einen schwarzen Tag erwischt. Aber bitte seid ehrlich und streut den Fans keinen bunten Feenstaub in die Augen.

Grund 4: Mangelnde Competition

Ich will erst gar nicht die „Schuldfrage“ stellen bzw. fragen, wer die Verantwortung dafür trägt, dass es insbesondere im weiblichen Bereich kaum „Konkurrenz“ gibt. Lassen wir außer Acht, dass es generell immer weniger Menschen mit Behinderung gibt und sich zu lange auf der Ära „Mohnen, Schünemann, Zeyen & Co.“ ausgeruht wurde bzw. diese sich – intrinsisch motiviert – für eine 150-Euro-Förderung den Hintern aufgerissen haben. Der Verband und die Verantwortlichen haben es versäumt, frühzeitig entsprechende Konzepte auf- und vor allem umzusetzen. Fragt mal den U25-Nationaltrainer der Damen, wie viel weiblicher Nachwuchs ihm in den nächsten Monaten und Jahren de facto zur Verfügung stehen wird. Puh, da wird einem angst und bange.

In meinen Augen noch viel eklatanter als die Nachwuchsgewinnung, ist die Nachwuchsbindung. Was wird konkret getan, um die Kids und Teens zu halten, so dass sie der Basketball nicht an andere Sportarten verliert? Das aktuelle Ergebnis ist, dass in der Damen-Nationalmannschaft keine (oder nur bedingt) Konkurrenz herrscht. Konkurrenz belebt das Geschäft. Wo keine Konkurrenz herrscht, läuft der Mensch Gefahr, es sich bequem zu machen. Er sich auf dem Status quo ausruht. Getreu dem Motto: „Ein gutes Pferd springt nur so hoch wie es muss.“ Das mag im eigenen Gestüt gut sein, fällt einem jedoch bei internationalen Wettkämpfen auf die Füße. Dort nämlich musst du höher springen als alle anderen. Gewinner trainieren wie Gewinner.

Grund 5: Fördergeld-Fixierung

Wann wurde der letzte neue Sponsor für die Rollstuhlbasketball-Nationalmannschaften vorgestellt? Wisst ihr’s? Ich weiß es nicht. Statt Gelder in der freien Wirtschaft für eine attraktive Sportart zu akquirieren, was ja in Wetzlar (Buderus), Frankfurt (ING), Köln (Toyota) und Wiesbaden (R+V) durchaus zu funktionieren scheint, mutet es an, dass der Verband und einige Nationalspieler zu sehr auf Fördermittel angewiesen sind. Es wird alles getan, um an öffentliche Gelder des Landes, des Bundes, des Verbandes, der Städte etc. zu kommen. Dies ist legitim und vollkommen in Ordnung, bitte nicht falsch verstehen. Ich gönne jedem Spieler und Verantwortlichen seine Gelder. Diese Fixierung auf „Fördermittel“ führt jedoch zu (politischen) Abhängigkeiten. Spieler müssen in den Natio-Kader rutschen oder kommen bei Klubs unter, weil dort die Landesförderung besser ist. Ferner muss sich unbedingt für die Paralympics qualifiziert werden, weil sonst Moneten flöten gehen. Finanzielle Einbußen mag niemand gerne. Diese Fokussierung lässt vermuten, wie bei einigen Topmanagern in der freien Wirtschaft, dass sich eher auf den kurzfristigen sportlichen Erfolg konzentriert wird, statt auf langfristige (Entwicklungs-)Ziele.

Mal eingehakt: Wo bleibt bitte der Aufschrei über die Mehrkosten, die dem Verband dadurch entstehen, dass er zwei Nationalmannschaften nebst Staff zu Repechage-Turnieren nach Japan und Frankreich schicken muss? Mehrkosten, die hätten vermieden werden können, wenn die Teams ihr volles Leistungspotenzial abgerufen hätten. Stellt euch bitte nur mal vor, was mit dem „Repechage-Geld“ an Basisarbeit hätte geleistet werden könnte. Ich will es mir gar nicht erst ausmalen.

 

Text: Martin Schenk | Foto: Ana Sasse

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