Der Vertrag des Herren-Bundestrainers ist nach den Paralympics ausgelaufen. Der sportliche Erfolg in Rio blieb, anders als bei der EM in Worcester, aus. Soll Nicolai Zeltinger weitermachen? Aufhören? Oder gäbe es noch andere Optionen? Ein persönliche und rein subjektive Einschätzung dazu gibt’s von Rollt.-Redakteur Martin Schenk
Das sportliche Abschneiden der Herren in Rio war nach der tollen EM in Worcester ein (kleines) Debakel. Da nütze es auch nichts, die Leistung des Spanien-Spiels als Relativierung heranzuziehen. Das ist Politik und Sportdiplomatie. In der Paralympics-Vorbereitung wussten Lohmann & Co. doch durchaus zu überzeugen. Warum nicht in Rio? Die Türkei als auch die Niederlande wurden in diversen Freundschaftsspielen in die Schranken gewiesen. Ach ja, hat die Türkei nicht Spanien in der Paralympics-Vorrunde mit 68:65 geschlagen? Jene Türken also, die das Team Germany aus der Frankfurter Halle gekegelt hat? So viel von mir an dieser Stelle zum Thema sportliche Quervergleiche. Der World Super Cup in Frankfurt war ein Erfolg auf dem Parkett für die Herren der Schöpfung. Die Ausrutscher in Brasilien oder die Niederlage gegen die Polen in der Vorbereitung hingegen waren problemlos zu verzeihen. Hätte das Team eventuell gegen andere Gegner testen müssen oder sollen? Da ich kein Trainer bin und war, halte ich mich mit Aussagen und Diskussionen an dieser Stelle stets zurück. Auch was die Zusammenstellung des Kaders betrifft. Dies hat allein Nic Zeltinger zu vertreten, und er muss über den Dingen stehen – was er auch tut. Insbesondere was die Rolle eines in der Vorbereitung fehlenden Passiwan (erkrankt) als auch einiger junger und „alter“ Lahn-Dill-Akteure betrifft, die mitunter in der RBBL wenig Einsatzzeit bekommen, aber mit nach Rio durften. Wie im Fußball auch, gibt es in diesem unseren Rollibasketball-Land viele kleine Nationaltrainer, die es oftmals (später) besser wissen, als Bundes-Nic. Ich komme ja viel rum in den Hallen und frage auch gerne Spieler oder Trainer, wie sie die Leistung des Team Germany beurteilen. Vor den Matches gegen Brasilien und Spanien herrschte eisiges Schweigen. „Kein Kommentar“ hieß es oft oder „Die Mannschaft zeigt kaum Emotionen“. Wie dem auch sei. Was mich jedoch schon seit Monaten umtreibt, ist die Doppelfunktion des Dirigenten an der Seitenlinie. Das sollte und darf meines Erachtens nicht sein, wenn in diesem Land der Anspruch besteht, den Sport zu professionalisieren. Deutschlands oberster Rollibasketball-Lehrer muss reisen, zuschauen, werben, durch alle Hallen tingeln, für den Sport begeistern, vor Ort sein, Sponsoren besuchen, Spieler live anschauen, mit Nachwuchsstars telefonieren und zu 100% für das Team da sein. Das kann Nic Zeltinger aufgrund seiner Doppelrolle definitiv nicht in der Qualität realisieren, die es benötigt, um den Sport und die Rolle des Team Germany ideal zu fördern. Mal unbenommen von den Geistern, die diese Doppelrolle immer und immer wieder hervorrufen wird: nämlich die Nominierung der Spieler, die Reisen ins Ausland oder das Rekrutieren der Co-Trainer und Betreuer aus dem vereinsnahen Umfeld. Solange er gleichzeitig Coach in Wetzlar ist, wird er sich diese Fragen ständig gefallen lassen müssen – der Verband übrigens ebenfalls. Und dass auch der RSV Lahn-Dill Nachteile hat, mag sein. Aber scheinbar überwiegen die Vorteile, sonst hätte eine von etlichen Managern geführte und geleitete Profi-GmbH dem schon ein Riegel vorgeschoben. Und die Beantwortung all dieser Fragen, wenn auch nicht publikumswirksam, werden Nic Zeltinger und die Verbandsverantwortlichen immer wieder Kraft und Energie kosten, die für wichtigere Aufgaben benötigt werden. Natürlich kostet ein Bundestrainer auch Geld. Er muss auch, verdammt nochmal, sehr, sehr gutes Geld verdienen – denn er ist der Oberchef, der Repräsentant und der Botschafter, der die Hauptverantwortung für unsere Sportart in diesem Land trägt. Manch einer meint eventuell, dass kein Geld vorhanden ist, um eine solche Stelle zu finanzieren. Das ist der falsche Ansatz, Freunde der Nacht. Die Frage muss vielmehr lauten: „Was müssen wir in drei Teufels Namen tun, dass wir einen Bundestrainer voll und richtig gut bezahlen können?“. Und ich bin jetzt einfach mal so frech und behaupte wider besseres Wissen, dass sich Teile der finanziellen Mittel innerhalb des Verbandes umschichten ließen. Auch wenn ich mir damit keine Freunde mache: Warum müssen die Damen und Herren auf die Kanaren, in die USA oder nach Brasilien fliegen, wenn Elxleben doch so nah ist? Warum wurde eine Daphne Bouzikou für die psychologische bzw. mentale Betreuung der Spieler engagiert? Umsonst wird sie mit Sicherheit nicht gearbeitet haben. Und: Kann denn nicht auf den ein oder anderen Mitreisenden zu den Auslandsaufenthalten verzichtet werden? Bevor jetzt einige mit dem Kopf schütteln, bitte ich um das sorgsame Lesen der folgenden zwei Sätze: Ich möchte gar nicht in Abrede stellen, dass all diese Maßnahmen sinnvoll sind. Aber was ist denn bitte schön wichtiger und trägt zum lang- und nicht zum kurzfristigen Erfolg bei? Und ich bin mir sicher, dass sich weitere Sponsoren für diese geile Sportart finden würden, wenn sich noch intensiver darum gekümmert wird. Ich will damit nicht sagen, dass nichts passiert, aber geht vielleicht nicht noch ein bisschen mehr? Dazu brauchen wir ein sexy und attraktives Produkt, das es momentan leider nur bedingt gibt.
Fehlende Emotionen in Rio
Der Auftritt der Herren gegen die Weltmacht aus dem Iran und in anderen Vorrundenspielen war mitunter eher suboptimal. Ich unterstelle keinem, dass er nicht gewinnen konnte oder wollte, vielmehr zeigte der Gegner, was machbar ist, wenn man kämpft, Emotionen zeigt und sich für sein „Vaterland“ reinhängt. Dieser „gesunde Patriotismus“, gelebte Emotionen und das Feuer haben mir bei unseren Jungs teilweise gefehlt. Doch zurück zur Ausgangsfrage. Ich bin, das mag den einen oder anderen erstaunen, kein Freund von Trainerwechseln. Vor allem auf Misserfolg basierende Kurzfristreaktionen, wie Entlassungen, bringen keinen langfristigen Erfolg, sondern verändern höchstens die Teamhierarchie. Dies ist übrigens bewiesen. Wie im Unternehmen auch, liegt die hohe Kunst des Managements in der richtigen Personalauswahl. Leider haben das viele Firmen noch nicht begriffen. Aber das ist ein anderes Thema. Ich möchte einen Blick zum Fußball wagen, wo die Beispiele zu finden sind, die meiner persönlichen (die Betonung liegt auf meiner) Philosophie entsprechen. Ob Arsène Wengers 20 Jahre bei Arsenal London, Sir Alex Fergusons knapp 27 Jahre (1986 bis 2013) bei Manchester United oder Volker Finkes 16 Jahre beim SC Freiburg. Alle samt haben Erfolge gefeiert und Titel errungen. Es gab gute und schlechte Zeiten. Aber die Übungsleiter waren die Konstante. Der Fels in der Brandung, der nicht immer unumstritten, aber immer da war und sich entwickelt hat. Nicht im Charakter, sondern was die Evolution des Spiels betrifft. Die Erfolge geben Ihnen recht. Die Spieler folgten der Philosophie. Wem die Strategie nicht passte, war fehl am Platz. Was will ich damit sagen? Ich bin der Meinung, dass der Rollstuhlbasketball hierzulande diesen unverrückbaren Fels in der Brandung benötigt. Dessen Trainer-Philosophie sei mal dahingestellt. Ob „Player’s Coach“, Stratege, Planer oder autoritärer Vulkan. Wobei Letztgenannter nicht meinem persönlichen Gusto entspricht und höchstens kurzfristige Erfolge feiert. Dieser wie auch immer geartet Trainer-Fels braucht Muße und Zeit, um seine Sicht der Dinge zu vermitteln. Diese in alle Teams zu tragen. Reden, reden, reden. Trainieren, trainieren und nochmals trainieren. Und genau hier liegt das aktuelle Problem. Der Fels kann Nicolai Zeltinger heißen. Wer aber auf zwei Hochzeiten tanzt, ist der Diener zweier Herren. In seinem Brustkorb schlagen zwei Herzen.
Ein möglicher Lösungsansatz?
Die Herren von der Rollt. haben ja immer gut reden. Das stimmt. Das ist das Schöne an unserer Position. Wir müssen niemandem gefallen, unsere Ergüsse müssen nicht gelesen werden und wir müssen keinem nach dem Mund reden, um in dessen Gunst zu steigen. Jetzt bin ich alt genug, um zu wissen, dass bestehende und eingespielte Strukturen nur sanft aufzubrechen sind. Einen aktuellen Bundestrainer kann der Verband nicht einfach vor die Tür setzen. Auch wenn der Vertrag ausgelaufen ist. Dazu müsste ein anderer Kandidat in den Startlöchern stehen. Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Ein Schnellschuss wäre fatal und würde das Problem ggf. noch verschlimmern. Denkt bitte auch an die nahende Heim-WM in Hamburg 2018. Ulf Mehrens & Co wollen und können sich keine Wiederholung der Katastrophen-EM 2013 in Frankfurt erlauben. Eine Agenda bzw. ein Etappen-Masterplan muss her. Kurzfristiges Ziel ist Hamburg 2018. Das mittelfristige Ziel 2020 Tokio. Nic Zeltinger könnte z. B. mit einem Einjahresvertrag ausgestattet werden. Bis zur EM auf Teneriffa 2017. In dieser Zeit muss es gelingen, einen Nachfolger aufzubauen und dessen Bezahlung zu sichern. Oder Nicolai Zeltinger verschreibt sich voll und ganz dem Nationaltrainer-Amt. Das hieße Abschied nehmen vom RSV Lahn-Dill. Ein finanzielles Risiko? Irgendjemand wird eine Bundestrainer-Entscheidung treffen müssen; denn die aktuelle Situation sollte m. E. nur temporär weitergeführt werden. Wer auch immer diese Entscheidung trifft, stellt die Weichen für die Rollstuhlbasketball-Zukunft in diesem Land und trägt die volle sportliche und entwicklungstechnische Verantwortung. Und dies sag ich in aller Deutlichkeit. Der Fisch stinkt immer vom Kopfe her bzw. die Treppe wird von oben nach unten gekehrt. Der Sport hat eine Führungspersönlichkeit verdient, die sich voll und ganz der Aufgabe widmet. Ein Mensch, der diesen Sport liebt. Ja, er muss den Rollstuhlbasketball lieben und leben. Die Augen müssen funkeln, wenn er über den Sport spricht. Dies kann ein Nicolai Zeltinger sein – aber m. E. definitiv nicht in einer langfristigen Doppelrolle.
Text: Martin Schenk