Wie kommt jemand dazu, zu behaupten, dass es ein Privileg sei, Rollstuhl fahren zu dürfen, wo doch nachgewiesenermaßen unsere Gesellschaft noch längst nicht barrierefrei ist – weder was die Infrastruktur noch was die Denkweise von vielen angeht (doch das ist ein spezielles Thema, auf das ich später zurückkommen werde)?
Hintergrund für diese Behauptung ist, dass ich seit zwei Jahren als Fußgänger Rollstuhlbasketball spielen darf und ich dies tatsächlich als Privileg in diesem doch ursprünglich von Behinderten ins Leben gerufenen Sport empfinde. Es gab bislang schon viele Betrachtungswinkel auf diesen Sport, doch hat sich noch keiner sich mit der Inklusion der Fußgänger, also von Nicht-Behinderten befasst. Ich höre schon den ein oder anderen Unkenruf, der da lauten mag „Das ist doch keine Inklusion, denn die Fußgänger haben doch nicht die Probleme wie die Rollstuhlfahrer!“. Das stimmt natürlich für das tagtägliche Leben, doch darüber spreche ich nicht. Mir geht es vielmehr darum, dass irgendjemand mal entschieden hat, dass auch Fußgänger diesen Sport betreiben dürfen, was sicherlich ein sehr gutes Zeichen war. Doch leider werden wir immer noch nicht voll akzeptiert. Denn auf internationaler Vereinsebene darf kein Nicht-Behinderter eingesetzt werden, was meiner Meinung nach schon an Wettbewerbsverzerrung grenzt. Denn die Fußgänger bringen genauso ihre Leistung in der Vereinsmannschaft wie alle anderen, werden aber auf internationalem Parkett ausgeschlossen. Ist irgendwie doch unlogisch, oder?
Doch darüber möchte ich mich nicht beschweren, bin ich doch froh, dass ich mit dem Mainhatten Skywheelers einen Verein gefunden habe, in dem ich Teil einer besonderen Gemeinschaft sein darf. Die Selbstverständlichkeit, wie hier gemeinsam Projekte gestemmt werden, ist schon beeindruckend. Und dabei spielt es keine Rolle, ob man in die Halle rollt oder zu Fuß geht. Dort, wo Not am Mann ist, wird geholfen – jeder nach seinen Möglichkeiten.
Apropos helfen: Als ich das erste Mal zum Training in die Halle kam, und einen meiner rollstuhlfahrenden Mannschaftskollegen mit dem Auto habe kommen sehen, war das schon etwas merkwürdig. Ich weiß nicht mehr, genau was ich gedacht habe, habe aber in diesem Moment ein sehr großes inneres Bedürfnis gehabt, demjenigen zu helfen, denn es ist ja ein „hilfsbedürftiger Rollstuhlfahrer“, habe aber dann sehr schnell gemerkt, dass das überhaupt nicht notwendig war. Im Gegenteil: Jeder Handgriff saß und Ruckzuck schwang er sich aus dem Auto, saß in seinem Alltagsstuhl, schob seinen Sportroll vor sich und wir beide gingen so in die Halle. Und in der Halle setzte sich die Selbstverständlichkeit fort beim Training und auch beim Duschen danach. So habe ich nach und nach gelernt, dass ich hier in der Halle meine Hilfe nicht mehr unbedingt anbieten muss. Vielmehr sprechen mich die Rollifahrer an, wenn sie Unterstützung brauchen, z. B. beim Aufpumpen der Reifen des Sportrollis. Und natürlich helfe ich hier gerne.
Also hat dieser Sport nicht nur dazu geführt, dass ich mich körperlich wieder verausgaben kann, sondern meine Barrieren im Kopf sind auch schon zum Teil zum Einbrechen gebracht worden und ich achte im Alltag mittlerweile auch auf Dinge wie nicht-abgesenkte Gehwege oder das Nicht-Vorhandensein von Aufzügen an Bahnhöfen – was ich früher nicht getan habe. Und hier gibt es noch viel mehr zu berichten…
Wenn meine Freunde und Bekannte mich heute ansprechen und fragen, wie es mir geht, lautet meine Antwort (durchaus mit einem Augenzwinkern) nicht mehr wie früher „Ja, läuft!“, sondern „Ja, Rollt.“
Text: Thomas Hertwig | Fotos: Silke Bleifuß