Immer wieder beobachte ich Mannschaften oder Spieler, die teils sogar ziemlich erfolgreich durch den Ligaalltag gehen und mich aber meistens doch dadurch verblüffen, dass ihnen das entscheidende Etwas abgeht: Ein sinnvolles Spiel miteinander – und das ist im Rollstuhlbasketball eigentlich der Faktor, der noch viel effizienter ist als bei den „Fußgängern“, weil man im Rollstuhl eben nicht mit einem großen Schritt oder einem Sprung seine Position fast nach Belieben verändern kann. Oft regiert „wer trifft, hat recht“ – darüber sollte man aber mal nachdenken, denn wenn’s mit dem Treffen nicht mehr klappt, ist es in der Regel zu spät, eine bessere Lösung zu finden.
Es ist schon bemerkenswert, dass es viele Mannschaften und viele sehr gute Spieler gibt, die ihr Heil immer darin suchen, eine einigermaßen gute Position zu finden und von dort mit dem vermeintlich besten Werfer den Abschluss zu suchen. Dagegen spricht erst einmal nicht, wenn dieser Abschluss nicht oft ein 1-gegen-1-Abschluss wäre, der meist kaum mehr als einen Längenvorteil, ein Klassifizierungsmismatch, eine halbe Stuhlbreite Vorsprung ausnutzt. Wohlgemerkt: Selbst gute Spielzüge können so etwas als besten Ausstieg haben – für einen herausragenden großen Scorer wie Zwickaus Adam Erben reicht das einfach zu einem guten Wurf. Für die wahren „Schlachten“, die sich etwa Kanada und Australien oder der RSC Zwickau und der RSV Lahn-Dill immer wieder liefern, ist es entscheidend, wer auch aus solchen Situationen Punkte macht. Realistisch aber fährt jedes Team besser, wenn es sich im Set-Play systematisch Überzahlen erspielen kann. Das wiederum befeuert wiederum die Effizienz der individuell starken Spieler, weil sie in „leichtere“ Situationen kommen.
Ich hatte bereits in meiner ersten Kolumne darauf hingewiesen, dass das „sich bewegen können“, das Fahren und die räumliche Position auf dem Feld alles ist. Es gibt bei uns im Rollstuhl keinen schnellen Schritt, kein Umgreifen, kein wirkliches Springen. Und genau deswegen sind die kleinen Vortaktiken im Spiel 2-gegen-2 und 3-gegen-3 enorm wichtig. Wenn ihr mal schaut, wie viele Screens und Pick-and-Rolls ihr in einem einzigen Angriff im Profi-Fußgängerbasketball seht, und wie fahrlässig hingegen viele Rollstuhlbasketball-Teams mit solchen Mitteln umgehen, obwohl sie durch den Faktor Rollstuhl so viel effektiver sind, ist das schon erschreckend.
Im Grunde sind es drei Grundtechniken, die jeder Rollstuhlbasketballer sicher beherrschen muss, damit er Teambasketball spielen kann: Kreuzen, blocken, schirmen (und für Fortgeschrittene natürlich sealen) – alle haben unmittelbar etwas damit zu tun, mit einem bestimmten Ziel vor Auge zu fahren, zu verzögern, zu beschleunigen, und – ganz besonders wichtig – im richtigen Augenblick am richtigen Ort richtig zu stehen!
Lasst uns mal einen Blick auf die 2-gegen-2-Situationen legen – man nennt das auch „2 men games“, Spielzüge für zwei Spieler. Dadurch, dass man im Rollstuhlbasketball so gut wie keine Chance hat, im Set-Play durch die Zone zu schneiden, sind 1-2-2-Offensivaufstellungen im Grunde fast die standardisierte Angriffsform im Rollstuhlbasketball-Halbfeldspiel.
„Spacing“, also der kluge Umgang mit dem Platz, der zur Verfügung steht, ist für 2-men-games überragend wichtig, schließlich braucht die Auflösung einer Spielsituation Platz, der unmittelbar an der Grundlinie, aber auch an der Ecke der Freiwurflinie durch die Nähe zum nächsten Angreifer-Verteidiger-Pärchen nur sehr begrenzt zur Verfügung steht. Im Idealfall will man ein 2-men-game etwa im 45°-Winkel zum Brett direkt am Zonenrand aufbauen und muss dafür gemeinsam eine gute Position für einen Screen vorbereiten: Das ist, was ich mit der Fähigkeit, richtig zu STEHEN, meine, den wir brauchen im Screen einen Spieler, der konsequent, aber geduldig, auf die sich bietenden Gelegenheiten wartet. Hinter dem Screen lauert der zweite Spieler – er muss anspielbar sein und sofort Gefahr für den Korb ausstrahlen und dabei die Gegenspieler zwingen, Entscheidungen treffen zu müssen. Das bedeutet konkret: Er muss wurfbereit sein und zu allererst auf einer gedachten Linie zwischen sich selbst, dem Screen und dem Korb bleiben, um die Reaktion der Verteidiger beobachten. Bewegt er sich aus dieser Linie, wird er entweder weniger gefährlich (weil ein dribbelnder Spieler weniger schnell wieder werfen kann) oder kommt seinem Gegenspieler entgegen. Bleibt der Schütze hingegen stehen, müssen die Verteidiger hingegen entscheiden:
Wollen sie einen offenen Wurf zulassen? Dann gilt wieder „wer trifft, hat recht“ 🙂 und im Idealfall kann man diese Art von Ignoranz mit ein paar lockeren Würfen wegschießen.
Wollen die Verteidiger das nicht, muss einer der beiden dem Wurf auf einem relativ weiten Weg entgegen kommen. Daraus ergeben sich Blockgelegenheiten für den Spieler, der zuvor den Screen gestellt hatte, während der Ballführer vom herausspringenden Gegenspieler weg den Korb attackieren muss – und wir sind in einem Pick-and-Roll und damit einer 2-gegen-1-Überzahl. Und ich kann nur das Mantra von Bundestrainer Nicolai Zeltinger wiederholen: Wir wollen am Ende eines Angriffs idealerweise keinen Verteidiger mehr zwischen uns und dem Korb haben. Bei 2-gegen-1 haben wir genau das erreicht.
Im Spiel ist das natürlich nicht ganz so einfach, es gibt zahlreiche Möglichkeiten für die Defense, auf solche Situationen zu reagieren – Rotation und Hilfe sind die wichtigsten -, und natürlich funktioniert das nicht in jeder Offense-Konstellation. Ich wollte Euch hier zunächst eine erste Idee mitgeben, wie man aus der Situation herauskommt, ausschließlich in 1-gegen-1-Situationen zu spielen und vor allem zu denken. Effektiv 2-gegen-2 zu spielen ist aber Grundlage für fast alles – von einfachen Punkten (geht nämlich immer) über komplexe Spielsysteme (fast alles ist eigentlich nur eine Kombination von 2-2 und 3-3-Situationen) bis hin zum geordneten Überzahlspiel von 2-1 bis 5-4. Ein bisschen was muss ich mir aber auch noch für die nächsten Kolumnen noch aufheben…
Daniel Stange ist Rollstuhlbasketballer seit 1998. Zu seinen Stationen zählen der RSV Lahn-Dill und die SG/MTV Braunschweig. Der C-Lizenz-Trainer war u.a. hospitierendes Mitglied im Coaching Staff der Herren-Nationalmannschaft für die EM 2011 sowie Assistenztrainer für die Herren-Nationalmannschaft 2013. Schwerpunktthemen: Spielanalyse, Videoanalyse und Scouting. Im normalen leben ist Daniel Stange Historiker und freiberuflicher Journalist. Für Rollt. bloggt er in der Kategorie “Pick and Rollt.” %CODE1%