An der kürzlich vollzogenen Zeitumstellung lag es nicht, dass die Traumphasen in den Schlafzimmern der RBBL-Manager und -Verantwortlichen in der zurückliegenden Donnerstagnacht sehr kurz waren. Bis nach Mitternacht diskutierten die Macher und Kümmerer der Rollstuhlbasketball-Szene über den Start des Spielbetriebs in der deutschen Beletage. Nach hitzigen Diskussionen, emotionalen Gefechten, geäußerten Schadensersatzandrohungen im Vorfeld, einer E-Mail-Schwemme und teils unsachlichen Wortbeiträgen stand der Beschluss fest: es wird gespielt!
Ob dies nun eine gute oder schlechte Option ist, mag jeder für sich (be-)werten. Denn, seien wir mal ehrlich, solch weitreichende Entscheidungen lassen sich nicht einstimmig und emotionslos fällen. Das ist verdammt nochmal auch wichtig und richtig, um Gruppendenken zu vermeiden. Es geht um die Gesundheit aller Beteiligten, Partikularinteressen der Klubs sowie wirtschaftliche Abhängigkeiten. Es ist auch das Aufeinanderprallen zweier Welten in der RBBL. Welten, über die unter dem Titel Amateur- oder Profisport diskutiert wurde, wie mir zahlreiche Gesprächspartner übers Wochenende bestätigten. Lasst mich in dieser Frage ehrlich und direkt sein: Es ist mir Wurst, ob Rollstuhlbasketball als solcher als Amateur- oder Profisport gesehen wird oder das Profi- und Amateurtum als Feigenblatt genutzt wird, um seine eigenen Vereinsinteressen lautstark zu proklamieren. Ob eine Sportart Profi- oder Amateursport im weiteren Sinne ist, erkennen Dritte am Handeln der verantwortlichen Personen. Ich spreche in diesem Zusammenhang nicht von sportlichem Trainingsfleiß, sondern von Werten, wie Respekt, Wertschätzung, gegenseitiger Achtung, zuhören können, Empathie und guter Kinderstube. Unter Sportlern und Erwachsenen muss und darf auch mal ordentlich gestritten werden. Es muss sich sogar gerieben werden. Und es darf auch mal laut sein. Nur eines darf eine Diskussion nicht sein: abwertend, unsachlich und geringschätzend. Und genau daran hapert es aktuell im Affenzirkus RBBL. Statt sich – wie ihre Spieler auf dem Court – mit offenem Visier zu duellieren, wird ein technisches und unsportliches Foul nach dem nächsten hinter und vor den Kulissen von Vereinen und Einzelpersonen produziert. Diese Scharmützel gehen soweit, dass Menschen, die sich in und für unseren Sport engagieren, zurückziehen. Oder ernsthaft darüber nachdenken, ihre Lebenszeit an anderer Stelle zu investieren. Dies mag dem einen oder anderen nur ein müdes Lächeln entlocken. Für mich ist es jedoch ein Alarmzeichen! Der Herzschlag des Rollstuhlbasketballs sind Ehrenamtler und „Zeit-Investierer“, die ihr Bestes – im Rahmen ihrer Möglichkeiten – geben. Dieser Pulsschlag droht sich zu verlangsamen. Und jeder weiß, was passiert, wenn die Durchblutung gestört ist. Und eines sage ich auch ganz klar: Es ist pupsegal, ob jemand Geld für etwas bekommt oder seinen Job ehrenamtlich erledigt. Wenn ich etwas mache, dann habe ich dies gefälligst ordentlich zu machen. Denn: Professionalität und leidenschaftlicher Einsatz sind Charaktereigenschaften, die nicht von Geld oder Ehrenamt bedingt werden.
Jetzt mag es den einen oder anderen geben, der sich fragt: Was ist denn nun DIE richtige Entscheidung in der jetzigen Situation? Spielen? Nicht spielen? Dazu muss ich sagen, dass ich es nicht weiß. Ich weiß jedoch, wie ich persönlich zu FALSCHEN Entscheidungen komme. Und zwar immer dann, wenn ich meine eigene Meinung, als die einzig wahre sehe. Ich mich in meinem gedanklichen Mikrokosmos bewege. Sich Menschen mir gegenüber nicht trauen, ihre Meinung zu sagen, weil sie innerlich Angst haben. Ich mich bei wichtigen Entscheidungen von meinem Emotionen leiten lasse und meinen Kopf nicht einschalte. Ich nicht richtig zuhöre sowie meine Werte und Glaubenssätze verrate. Und ich weiß ferner, was suboptimal für den Rollstuhlbasketball ist: Kein einheitliches und abgestimmtes Auftreten der Beteiligten nach außen hin. Das verunsichert nicht nur die Fans, sondern auch die Sponsoren und spaltet vor allem die Spieler und Vereine. Diese Risse zu kitten, kostet Kraft, die der Sport an anderer Stelle viel nötiger hat.
All diejenigen, die sich von Herzen wünschen, dass der Rollstuhlbasketball wächst und gedeiht, sollten sich in einer ruhigen Minuten selbst reflektieren, spiegeln und sich die folgende Frage stellen: „Trägt mein eigenes Handeln aktuell dazu bei, den Rollstuhlbasketball als solchen zu stärken?“ Und bitte seid ehrlich zu euch selbst.
Wie dem auch sei, zurzeit befindet sich die RBBL und der Sport – meiner Meinung nach – nicht in einer Corona-, sondern in einer Glaubwürdigkeitskrise. Auf COVID-19 habe ich keinen bzw. einen bedingten Einfluss – auf meine Glaubwürdigkeit schon. Es ist immer einfach, Misserfolge oder Fehler zuerst bei anderen zu suchen, nur löst dieses Verhalten keine Probleme. Von daher wünsche ich mir, dass sich der Rollstuhlbasketball nicht mit sich selbst, sondern mit der aktiven Gestaltung der eigenen Zukunft beschäftigt. Und dies geht nur, wenn die grundlegenden Werte, die unseren Sport ausmachen, wie Gleichberechtigung sowie der Respekt und die Wertschätzung vermeintlicher „Anders- und Unterschiedlichkeit“, gelebt werden.
Text: Martin Schenk | Foto: Steffie Wunderl