Interview mit Nina Challand: “Ich würde mir wünschen, dass es mehr Interaktion zwischen Rollis und Fußgängern in den Vereinen gibt.”

Nina Challand kam vom Fußgänger- zum Rollstuhlbasketball. Bei der Rolling Chocolate in Heidelberg fand die 48-Jährige eine neue sportliche und „ehrenamtliche“ Heimat. Was die Familienmutter am Neckar-Klub begeistert, was es mit der Restart Series auf sich hat und was die Badener unternehmen, um Talente und Nachwuchsspieler zu begeistern, berichtet die Mannschaftsprecherin im ausführlichen und tiefgehenden Interview.

 

Nina, du hast früher Fußgänger-Basketball gespielt und bist jetzt bei der Rolling Chocolate auf und neben dem Court aktiv. Wie kam’s?

Ich habe mit einigen Unterbrechungen 25 Jahre Fußgänger-Basketball gespielt, zuletzt beim LSV Ladenburg in der Oberliga, bis mich ein Kreuzbandriss mit Komplikationen gezwungen hat, aufzuhören. Ich habe ein paar Jahre lang versucht, einen neuen Sport für mich zu entdecken, aber die Liebe zum Basketball war immer noch da.

 

Das hören alle Basketball-Fans sehr gerne. Wie ging’s weiter?

Interessanterweise war es dann die Berichterstattung über die Neuklassifizierungen vor den Paralympics in Tokio, die mich wirklich dazu gebracht hat, endlich nach einem Rollstuhlbasketballverein in der Region zu suchen.

 

Was dich zu den Chocolates geführt hat, oder?

Korrekt. Ich bin im Sommer 2020 zur Rolling Chocolate nach Heidelberg gekommen und habe mich gleich wohlgefühlt. Neben meiner Rolle als Mannschaftssprecherin habe ich zusammen mit anderen Vereinsmitgliedern die Website und unseren Social-Media-Auftritt übernommen und engagiere mich bei verschiedenen organisatorischen Themen, unter anderem für unsere Nachwuchsmannschaft.

 

Super, dass du dich um den Nachwuchs kümmerst. Sag mal, welche Bilder sind in deinem Kopf entstanden, als du das erste Mal – ganz bewusst – zu einem Rollstuhlbasketball-Spiel bzw. -Training gefahren bist? Gab’s Klischees, die dir deine Gedanken vors innere Auge geführt haben? 

Bei mir ging es von der ersten Kontaktaufnahme bis zum ersten Training ganz schnell. Ich habe nachmittags mit Markus Bucher, dem Abteilungsleiter der Rolling Chocolate, telefoniert und abends saß ich schon im Sportrollstuhl und habe bei einem kleinen 3×3 Turnier mitgespielt. Berührungsängste hatte ich nicht, weil ich mich gleich willkommen gefühlt habe. Meine größte Sorge, dass sich Rollstuhlbasketball ganz stark vom Fußgänger-Basketball unterscheidet, war zum Glück auch unbegründet. Und es gibt auch Aspekte, die ich viel schöner finde als im Fußgänger-Basketball: ein richtig schneller Fastbreak fühlt sich im Rollstuhl einfach noch viel spektakulärer an…

 

Interessante Sichtweise. Was hat dich noch begeistert?

Sehr faszinierend fand ich von Anfang an, dass Rollstuhlbasketball noch viel diverser und inklusiver ist als nur „behindert“ und „nicht behindert“. In meinem letzten Basketball-Team war ich die Älteste – und plötzlich fand ich mich altersmäßig im guten Mittelfeld wieder.

 

Lass uns zum Ehrenamt kommen: Warum engagierst du dich ehrenamtlich in Heidelberg? Was gibt dir der Sport? 

Ich habe in Heidelberg, aber auch in der größeren Rollstuhlbasketball-Community so viele interessante Persönlichkeiten kennengelernt. So habe ich mich nach und nach stärker im Verein engagiert als nur als Spielerin. Nach den Corona-Jahren war auch einiges an Wiederaufbau notwendig, das war vielleicht auch ein Katalysator für meine ehrenamtlichen Tätigkeiten.

Und beim Engagement im Verein ist es wie auf dem Feld: nur als Team kann man wirklich etwas bewegen. Wir haben momentan ein starkes Team, um die Aufgaben im Verein auf viele Schultern zu verteilen. Das macht einfach Spaß.

 

Ihr habt – neben anderen Vereinen aus dem Südwesten – die Restart-Series ins Leben gerufen. „In a nutshell“: Was hat es mit der Serie auf sich? 

Nach Corona ist leider keine Landesliga in Baden-Württemberg zustande gekommen. Uns war es aber sehr wichtig, unserer zweiten Mannschaft die Möglichkeit zu geben, Spielerfahrung auf einem passenden Leistungsniveau zu sammeln, da wir über die lange Corona-Zeit darauf hingearbeitet hatten, endlich gegen andere Teams zu spielen.

 


Dabei geht es aber immer darum, dass die Anfänger ins Spiel gebracht werden und nicht, dass die Erfahrenen das Spiel dominieren.


 

Ein super Ansatz und eine tolle Eigeninitiative. Was waren die nächsten Schritte?

Wir haben andere Vereine im Südwesten zur „Restart Series“ eingeladen. Das ist im Grunde nichts anderes, als eine selbst-organisierte Turnierserie, ähnlich der Landesliga Baden-Württemberg, die es bis vor Corona gab. Da die Restart Series kein offizieller Liga-Betrieb ist, erlauben wir den Vereinen, die Teams auch Spielern aus höheren Ligen zu ergänzen, nicht nur, aber vor allem auf der Aufbau-Position. Dabei geht es aber immer darum, dass die Anfänger ins Spiel gebracht werden und nicht, dass die Erfahrenen das Spiel dominieren. Wir haben bereits zwei Restart Series Turniertage in Heidelberg gehabt und haben schon einige Einladungen anstehend. Das Feedback der teilnehmenden Vereine – bislang Pforzheim, Stuttgart, Trier und Freiburg – ist sehr gut und alle wünschen sich ein ähnliches Format auch in der kommenden Saison. Und es ist einfach schön, die Freude mitzuerleben, wenn Spieler und Spielerinnen ihre ersten Punkte in einem Spiel außerhalb des Trainings machen.

 

Und auf den Punkt gebracht heißt das, dass …

… wir denken, dass es sehr wichtig ist, den oft unterbesetzten zweiten oder dritten Mannschaften im Verein die Möglichkeit zu bieten, Spielerfahrung zu sammeln. Das sehen wir als ganz wichtig für die Nachwuchsarbeit in unserer Sportart an.

 

In unserem Kennenlern-Call haben wir über eine engere Verzahnung zwischen dem Fußgänger- und dem Rolli-Basketball gesprochen. Insbesondere unter verletzten bzw. vom Karriereende betroffenen Fußgänger-Basketballern scheinen die Möglichkeit des Rollstuhlbasketballs nicht allzu bekannt zu sein. Du hast den Sprung vollzogen. Wo siehst du Ansatzpunkte, um das Band zwischen den Fußgängern und den Rollis enger zu spannen? 

Eine sehr interessante Frage.

 

Danke dir (lacht)

Vielleicht tun sich die Fußgänger-Basketballer schwer damit, sich mit dem möglichen Karriereende durch Verletzungen zu beschäftigen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass man das lieber verdrängt und oft so lange wie irgendwie möglich versucht, noch weiterzuspielen …

 

Und?

Ich würde mir wünschen, dass es mehr Interaktion zwischen Rollis und Fußgängern in den Vereinen gibt. Das können zum Beispiel Try-outs sein oder auch, wie der PSC Pforzheim es für Mai plant, ein gemeinsames Turnier, bei dem – selbstverständlich – Fußgänger gegen Fußgänger und Rollis gegen Rollis spielen, aber eben gemeinsam in einer Halle und sich gegenseitig unterstützend.

 

Hast du ggf. noch ein schönes Beispiel für mich?

Ja. Manchmal vollziehen Fußgänger den Wechsel der Sportart auch früher: Wir haben mit Julia Piazolo seit kurzem eine ehemalige Handballerin im Juniorinnen-Alter in unseren Reihen, die sich nach einer frühen Verletzung für einen Wechsel zum Rollstuhlbasketball entschieden hat. Auch bei ihr war die Liebe zum Mannschafts-Ballsport der entscheidende Treiber.

 


Auch wenn wir nicht alles vorhersehen können, wollen wir uns in Heidelberg strukturell im Verein gut aufstellen …


 

Lass mich ein wenig in der Historie wühlen. 2003 war Heidelberg Deutscher Meister. Wie sieht es generell mit den sportlichen und strukturellen Ambitionen am Neckar aus? Kannst du uns einen kurzen Einblick geben, was ihr plant? 

Die Rolling Chocolate aus Heidelberg blicken auf eine stolze 40-jährige Geschichte seit der Gründung 1982 zurück. Und mit Sicherheit war das Jahr 2003 mit der Deutschen Meisterschaft als Amateurclub bislang der sportliche Höhepunkt. Wie bei jedem Verein geht es sportlich und strukturell immer mal auf und ab. Zum Ende der Saison 2019/2020 hat sich Heidelberg für einen freiwilligen Abstieg in die Regionalliga entschieden, da das Team personell nicht mehr ausreichend stark für eine Saison in der 2. Bundesliga war.

 

Und aktuell?

Jüngst ist unsere erste Mannschaft vorzeitig Meister der Regionalliga Mitte geworden. Ob wir für einen Aufstieg in die 2. Bundesliga ausreichend stark aufgestellt sind – im Team und auch im Verein – dazu legen wir uns gerade die Karten.

 

Was für ein „Blatt“ vermutest du?

Leider wird unser Spielertrainer Thomas Gumpert der Liebe wegen im Sommer nach Leipzig ziehen, so dass uns nicht nur ein wichtiger Spieler, sondern auch unser hervorragender Trainer abhandenkommt. Hier hoffen wir sehr, jemanden zu finden, der an die gute Arbeit von Thomas anknüpfen kann und unsere erste Mannschaft sportlich und als gut aufeinander abgestimmtes Team weiterentwickelt. Auch wenn wir nicht alles vorhersehen können, wollen wir uns in Heidelberg strukturell im Verein gut aufstellen, sei es in Bezug auf Sponsoren, auf den Ausbau der Nachwuchsförderung oder die Umsetzung neuer Ideen, um unseren Sport voranzubringen. Und als ein Verein mit einem hohen Anteil an Spielerinnen – bei uns gibt es rund ein Drittel Frauen in den Teams – freuen wir uns vor allem auch darauf, dass im September die Deutsche Meisterschaft der Damen erneut in Heidelberg stattfindet.

 

Das hört sich alles sehr „energiereich und kraftvoll“ an. Sag, was macht ihr als Klub, um Anfänger für den Sport zu begeistern?

Wir haben in Heidelberg derzeit drei Mannschaften: das Regionalliga-Team, die zweite Mannschaft mit der Restart Series auf Landesliga-Nivea und eine Einsteiger-Mannschaft, die vom Trainer gerne als die „Rollstuhlbasketball-Grundschule“ bezeichnet wird und offen für wirklich jeden ist, der unseren Sport ausprobieren möchte.

Wir nutzen viele Gelegenheiten, Try-outs anzubieten und haben auch Kooperationen mit Schulen und Universitäten in der Region.

Wir können uns glücklich schätzen, dass wir in Heidelberg gute Trainingsmöglichkeiten für alle Teams haben und auch Anfängern einen Vereins-Sportrollstuhl zum Ausleihen bieten können. Und durch die Restart Series auf Landesliga Niveau können auch Anfänger schnell zu Spielerlebnissen kommen.

 

Zum Schluss reiche ich dir Aladins Lampe: Du darfst kräftig dran reiben und dir drei Wünsche in Bezug auf den Rollstuhlbasketball erfüllen lassen. Was wünscht du dir? 

Da greife ich doch gleich mal zu.

 

Sehr schön. Ich bin schon ganz Ohr. Wunsch Nummer eins bitte?

Ich wünsche mir, dass der Mitgliederschwund, der während Corona in vielen Vereinen eingesetzt hat, durch gute und begeisternde Nachwuchsarbeit wettgemacht wird, damit bald wieder in allen Landesverbänden Anfänger-Ligen angeboten werden können und wir flächendeckend nachhaltige Nachwuchsarbeit für unseren Sport aufbauen können.

 

Nummer zwei?

Für Heidelberg wünsche ich mir, dass die gute Arbeit in den drei Teams fortgesetzt wird und dass wir den Verein erfolgreich weiterentwickeln können. Zum 50-jährigen Jubiläum soll die Rolling Chocolate immer noch ein lebendiger und sehr aktiver Verein sein, der auch sportlich ambitionierten Rollstuhlbasketball spielt.

 

Zu guter Letzt?

Und ganz persönlich wünsche ich mir, dass ich nach 25 Jahren Fußgänger-Basketball jetzt noch viele Jahre Rollstuhlbasketball spielen kann.

 

Nina, vielen Dank für die schokoladigen und tiefen Einblicke ins Heidelberger Rollstuhlbasketball-Geschehen.

 

Interview: Martin Schenk | Foto: privat

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