Martin Kluck im Interview: “Uns hat die nötige Erfahrung gefehlt!”

Hannover United heißt der erste sportliche Absteiger der Saison 2015/16. Im Gespräch mit Rollt. analysiert Spieler-Trainer Martin Kluck die aktuelle Situation in Niedersachsen.


Martin, dem Aufstieg in die 1. RBBL folgt der direkte Wiederabstieg. Was waren die entscheidenden Gründe?

Das ist, glaub ich, schnell gesagt. Wir haben es nicht geschafft, in den entscheidenden Momenten und Schlüsselspielen unsere beste Leistung abzurufen. Das ist einerseits der Tatsache geschuldet, dass das Durchschnittsalter unseres Stammteams knapp 22 Jahre beträgt und andererseits, die schwierige Situation eines Spielertrainers, die in kritischen Phasen besonders schwer wiegt. Kurz gesagt, uns hat die nötige Erfahrung gefehlt, um das unbestreitbare Talent des Teams so abzurufen, dass es für mehr Siege gereicht hat.

Ihr habt – im Gegensatz zu den meisten anderen Clubs – auf junge deutsche Spieler gesetzt. Was haben die Sadlers, Schönebergs & Co. in dieser Spielzeit gelernt?

Ich hätte mir gewünscht, am Ende der Saison sagen zu können, dass sich harte, detailverliebte Arbeit und die richtige Einstellung auszahlt. Auch wenn der letzte Platz dem zu widersprechen scheint, glaube ich nach wie vor fest an unseren Weg. Gelernt hat jeder Einzelne, was es heißt, sich mit einigen der besten Rollstuhlbasketballern zu messen, und letztlich, dass niemand etwas geschenkt bekommt. Wir haben gelernt, Positives aus Niederlagen zu ziehen, nach Enttäuschungen stärker zurück zu kommen. Aber auch wie wichtig Teamgeist und Zusammenhalt innerhalb einer Mannschaft sind.

Du gehörst ja auch dem Trainerstab des Team Germany an. Was geht in dir vor bzw. wie siehst du das, wenn in einem Top-Spiel zwischen Wetzlar und Elxleben in den ersten beiden Vierteln die Startformationen beider Teams nahezu komplett durchspielen und der deutsche Nachwuchs auf der Bank sitzt, obwohl parallel eine Zweitligapartie stattfindet, in der Spielpraxis gesammelt werden könnte, die von den meisten Trainern immer als  wertvoll proklamiert wird?

Hannovers Spielertrainer Martin Kluck weiß sich nicht nur auf dem Parkett durchzusetzen // Foto: Werner Schorp

Hannovers Spielertrainer Martin Kluck weiß sich nicht nur auf dem Parkett durchzusetzen // Foto: Werner Schorp

Das muss man meiner Meinung nach sehr differenziert betrachten. Ich finde es zu platt zu sagen, Spieler XY könnte, sollte, müsste mehr Spielpraxis bekommen. Es spielen hier zwei der besten Mannschaften Europas gegeneinander. Das ist Leistungssport auf allerhöchstem Niveau. Da ist es aus meiner Sicht absolut legitim und sogar Pflicht, dass die Besten auf dem Feld stehen. Jetzt könnte man sagen, dass wenn man das doch weiß, ein Kader von acht bis neun Spielern ausreicht und der Rest woanders Spielpraxis sammeln sollte. Aber ich versuche mich in die Lage der jungen Spieler zu versetzen. Ich bekomme Tag für Tag die Gelegenheit mit den besten der Welt zu trainieren. Gebe hier mein Bestes und werde Teil der Mannschaft. Ich bereite mich mit diesem Team wochenlang auf das Highlight vor, und zwar in dem Wissen, dass ich vielleicht nicht spiele. Ich analysiere mit den Trainern und meinen Mitspielern den Gegner und arbeite an den kleinsten Details. Und dann bekomme ich gesagt: „Du spielst heute mit der zweiten Mannschaft, damit du Spielpraxis sammelst.“ Ganz ehrlich, ich wäre enttäuscht, wenn ich nicht bei meinem Team sein könnte, um es zu unterstützen. Und garantiert würde ich ein schlechtes Spiel in der zweiten Mannschaft abliefern.

Ich sehe die Problematik, auf die du hinaus willst, ganz woanders. Schau doch mal wie groß die Kader der ganzen Bundesligisten sind. Und geh dann mal hin und zähle durch, wie viel Nachwuchs dort überhaupt auftaucht beziehungsweise regelmäßig mit dabei ist. Was mir wirklich Bauschmerzen macht ist nicht, dass Chris Huber oder Marvin Malsy nicht viele Minuten bekommen in der Bundesliga, sondern dass Spieler für zwei bis fünf Monate aus dem Ausland geholt werden, und zwar wegen des kurzfristigen sportlichen Erfolgs. Dabei werden Geld, Engagement und Kapazitäten von meist ehrenamtlich Engagierten verpulvert, anstatt in den eigenen Verein, in die Strukturen oder in die Trainingsbedingungen zu investieren, um mittel- und langfristig solide aufgestellt zu sein. Der Kollaps ist vorprogrammiert. Da nützt es auch nichts, sich unentwegt über fehlende Gelder zu beklagen, um dann den Sommer über durch Europa, Amerika und Australien zu wildern, um sieben bis acht Spieler zu finden, die dann von Oktober bis Februar die Aufgabe haben, die erste Liga für ein weiteres Jahr zu halten. Solang sich an der Denkweise vieler Bundesligisten nichts ändert, und auch die Vereinigung der Bundesligisten sich nicht selbst Auflagen schafft, kann ich es den jungen Talenten in Deutschland nicht verdenken, lieber an Seitenlinie geduldig auf ihre Chance zu warten, als nicht zu wissen, mit wem oder unter wem ich nächste Woche trainiere. Hinzu kommt die Ungewissheit, ob ich nächste Saison nicht umziehen muss, weil nicht wirklich bekannt ist, ob es am aktuellen Standort überhaupt noch ein Bundesligateam geben wird.

Wie sieht es mit der Kaderplanung für die kommende Saison in Hannover aus? Müsste ein Teil deiner Youngsters nicht  weiterhin Erstligaluft schnuppern?

Ich denke, dass ich einiges schon aus meinen bisherigen Antworten ableiten lässt. Hochklassig zu spielen und danach zu streben, sich mit gleichwertigen und besseren Spielern in Wettkampf und Training zu messen, sollte immer mein Ziel als Spieler oder Spielerin sein, wenn ich in meiner Entwicklung langfristig weiterkommen will. Die Frage ist, welchen Preis bin ich bereit dafür zu zahlen? Und welche Perspektive habe ich mittel- und langfristig? Wie soll mein Leben neben dem Sport aussehen? Was kommt nach dem Basketball? Ich denke, man merkt ein bisschen wie Hannover United als Verein und ich als Trainer ticken. Ich versuche mittel- und langfristig zu denken, und ich empfehle unseren Spielern genau dasselbe. Da alle aktuellen Spieler noch so jung sind, bin ich der Überzeugung, dass jeder der Geduld mitbringt, früher oder später auch in Hannover wieder Erstligaluft schnuppern kann.

Was war denn in der zurückliegenden Spielzeit das schönste Erlebnis für dich als Spielertrainer?

Das Schönste für mich als Spielertrainer ist es, zu erkennen, dass es auf dem Feld auch ohne einen selbst funktioniert. Diese Phasen hatte ich in dieser Saison immer wieder. Ganz konkret und für mich bewusst war es im Rückspiel zu Hause gegen Lahn-Dill. Ich habe das Spiel aufgrund einer Grippe nur vom Spielfeldrand aus mitbekommen und war zum Zuschauen gezwungen. Aber die Jungs und Mädels haben einen fantastischen Job gemacht. Das war schon sehr schön für mich.

Zum Abschluss bitte ich dich noch, den folgenden Satz auszuformulieren: Hannover United wird in der kommenden Saison 2016/2017 …

… weiter seinen Weg gehen, auf Nachwuchsarbeit setzen und zusätzlich zum Talent die Erfahrung aus der Spielzeit 15/16 in die Waagschale werfen, um bald einen neuen Anlauf zunehmen.

Interview: Martin Schenk // Foto: Werner Schorp

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