**ein Kommentar von Rollt.-Chefredakteur Sven Labenz (hallo@rollt-magazin.de)
Eins wollen wir mal festhalten: Der Rollstuhlbasketball hat den nächsten wichtigen Schritt in seiner Entwicklung gemacht – auch wenn er in Sachen Fingernägel kauen in diesem Jahr enttäuscht hat. Das Final Four um den DRS-Pokal in Hamburg war ein hoch professional organisiertes Event, die InselPark-Arena im schönen Wilhelmsburg südlich der Elbe der perfekte Austragungsort für die Endrunde um den deutschen Rollstuhlbasketball-Pokal.
An alles gedacht
Das Organisationsteam um die BG Baskets Hamburg hatte vor und hinter den Kulissen ein Event auf die Beine gestellt, zu dem Sport- und Innensenator Michael Neumann im Rahmen der Pokalübergabe zurecht lobende Worte fand und die Baskets als Aushängeschild und Vorzeigeprojekt für die Paralympische Bewegung der Hansestadt nannte. Zwar ist es auf dem Weg zu den möglichen Paralympics 2024/28 in Hamburgs noch eine gute Ecke und ein einfaches Turnier ist nicht mit den größten interkontinentalen Titelkämpfen im Behindertensport zu vergleichen – dennoch untermauerte die Mannschaft von Holger Glinicki ihre Stellung innerhalb der Metropole als vorbildliche Gastgeber. Auch die Zuschauer haben ihr Interesse bekundet und schlenderten in ordentlichen Gruppengrößen (pro Tag ca. 1.100) in den InselPark – natürlich gefördert durch die lautstarken und stets fairen Fan-Trupps aus Hessen, Thüringen und Rheinland-Pfalz. Neben den vielen passenden Rahmenbedingungen wie den Auftritten des Hamburg Towers Dance Teams, der ausreichenden Barrierefreiheit der Halle oder dem ausreichenden Catering fielen dem geneigten Betrachter auch zahlreiche Kleinigkeiten auf: Großflächige Plakate der Heimmannschaft im VIP-Raum, einheitliche Helfer-Shirts und Lanyards, ja selbst die Parkplatzschilder entsprachen dem eigens geschaffenen CI rund um das Final Four. Ein Hashtag (#Final4Hamburg), die eingerichtete Domain www.finalfour-hamburg.de sowie der zuvor durchgeführte Countdown auf der Facebook-Seite und das „Live-Twittern“ der Gastgeber spricht für eine crossmedial-digitale Denke und wird mit zahlreichen Likes und Followern in diversen Social Media belohnt.
Event mit internationalem Flair in der Großstadt
Aus dieser Denke ergibt sich auch die ordentliche Berichterstattung inklusive Besuch des frisch gebackenen Vize-Pokalsieger im NDR-Sportclub am späten Sonntagabend. Bedenkt man, dass hinter dem Organisationsteam mit Mareike Miller und Gesche Schünemann maßgeblich zwei Spielerinnen stecken, die zusätzlich noch zwei Partien am Wochenende absolvieren mussten, ziehe ich nicht nur symbolisch meinen Hut. Dabei stellte das Final Four in seiner eigenen Art und Weise die Veranstaltung in Elxleben 2014 in den Schatten – und das meine ich weder wertend, noch despektierlich, auch wenn ich den Aufschrei aus dem Sömmerda-Kreis schon jetzt hören kann. Während in Thüringen der familiäre Charakter dominierte, wehte in Hamburg der Hauch eines internationalen Sportevents in einer Metropolregion über Elbe und Alster. Lediglich der Hallensprecher hatte als DJ seine besten Momente schon hinter sich. Bereits samstags echauffierte ich mich über Udo Jürgen aus den Boxen, als dann als vermeintlicher „Partykracher“ noch „Eine Insel mit zwei Bergen“ angekündigt und freudig durchgenudelt wurde, suchte ich vergebens nach rosa Partyhüten und Sangria aus Eimern. War ich etwa doch auf einer Malle-Party oder einem 65. Geburtstag gelandet und der Hallensprecher ein hochprofessioneller Animateur für Seniorennachmittage? Versteht mich bitte nicht falsch und am Ende ist das ja auch eine Geschmacksfrage – aber Basketball lebt wie kaum ein zweiter Sport von seinem Lifestyle. Und nicht von einem peinlichen Jim-Knopf-Remix aus den 90ern.
Zum Sportlichen: Von Spannung fehlte jede Spur
Kommen wir zum sportlichen Aspekt des Wochenendes und warum der Rollstuhlbasketball in Sachen Fingernägel kauen enttäuscht hat. Keine Partie des hochklassig besetzten Wochenendes hatte wirklich Potential für einen Nervenkrimi. Vor allem die Halbfinal-Partien gerieten zu souveränen Start-Ziel-Siegen der beiden Finalteilnehmer. Während die BG Baskets Hamburg die GOLDMANN Dolphins Trier nie wirklich ins Spiel kommen ließen, zeigte sich der neue und alte Pokalsieger RSV Lahn-Dill auf den Punkt fit und abgezockt. Der so hoch gelobte Kronprinz des Oettinger RSB Team Thüringen hatte im Halbfinale keine echte Chance und enttäuschte. Während die Verantwortlichen auf beiden Seiten vorab von einem 50-50-Spiel sprachen, waren sowohl die Schweißperlen auf der Stirn der RSV-Manager, als auch das unnötige „Nachtreten“ der Thüringer via Pressemitteilung überflüssig.
Zitat aus der Pressemeldung: „Am Ende geht der Ländervergleichskampf USA gegen Deutschland klar an die Amerikaner und Albrecht, Bienek, Magenheim und Halouski müssen auf dem Parket die Segel streichen, während auf der ” tiefen Bank ” der Hessen sich die weiteren Spieler wie Huber, Zwerger, Schell, Dreimüller und Haller beim Warten den Hintern platt sitzen mussten“. Ich habe extra nochmal genau hingeschaut: Beim Rollstuhlbasketball sitzen sich während eines Spiels alle Spieler den Hintern platt. Dass mit Björn Lohmann und Thomas Böhme zwei wichtige deutsche Nationalspieler das Spiel der Mittelhessen entscheidend prägten und Alex Halouski jetzt auch nicht der typische Ur-Deutsche ist, merkt ihr aber schon selbst, liebe Thüringer?
Ich mag euch echt. Aber das ist einfach nur unnötig und spricht nicht für einen guten Verlierer. Wer einen Titel gewinnen will, muss eben die Besten schlagen. Egal aus welcher Nation und in welcher Formation. Jener Alex Halouski – ohne Frage der beste Center der Liga – kommentierte nach dem Spiel übrigens: „Es lag an uns. Das waren wir. Wir haben versagt.“
Ein Wort zum Livestream
Spätestens im dritten Viertel dieser Partie war klar, welcher Name nach dem Turnier auf den Pokal eingraviert wird. Die BG Baskets Hamburg sind noch weit davon entfernt, einen RSV Lahn-Dill in Bestbesetzung zu schlagen. Vor allem dann, wenn der japanische Scharfschütze Hiro Kozai so gar nicht ins Spiel finden will und mal eben fünf Fahrkarten aus dem 3-Punkte-Land schießt. Viel zu früh stand an diesem Sonntag fest, wer am Ende die Sektdusche zelebrieren wird.
Ein Wort noch zum Live-Stream auf dem Portal www.sportdeutschland.tv: Rollt. war nie ein Freund davon, dass sich der Rollstuhlbasketball erklären muss – das hat der Sport nicht notwendig und schon viel zu oft in der Vergangenheit getan. Vorab: Ich habe mir im Rahmen meiner Kommentatoren-Rolle keine wirklichen Gedanken dazu vor dem Livestream gemacht, sondern aus dem Bauch heraus entschieden, dass ich gemeinsam mit Nationalspielerin Marina Mohnen die Zuschauer einmal abholen möchte – in Sachen Klassifizierung, Regeln und Besonderheiten. Das hat vor allem den eingefleischten Rollstuhlbasketball-Fans nicht wirklich zugesagt, die sich einen Kommentar „näher am Spiel erhofft hatten“. Das kann ich nachvollziehen.
Ich freue mich hier auf den weiteren Dialog, um das Angebot weiter zu professionalisieren. Zum Abschluss meine Fünf Cent an alle diejenigen, die nun mit Schnellschüssen um die Ecke kommen, mich nach Möglichkeiten gefragt haben und auch „mal eben streamen möchten“: Macht sowas erst, wenn alle Grundlagen (Technik, Portal, Kommentator und Regisseur) stehen. In Zeiten, in denen jeder Hinz und Kunz mit seinem Smartphone in Sekundenschnelle einen Livestream zaubern kann, sollte das was ihr macht, hochwertig sein. Nicht perfekt, aber doch sehr, sehr gut.
Insgesamt ist das aber alles Meckern auf hohem Niveau. Unterm Strich steht eine rundum gelungene Veranstaltung mit vier tollen Teams, lautstarken Fans, einer Menge gelebter Inklusion, sportlicher Fairness und dem Beweis, dass Rollstuhlbasketball eine Chance hat, aus der viel zitierten „Behindi-Randsport-Ecke“ rauszukommen.