Es waren auch unsere Spiele!

Sportdeutschland befindet sich seit rund 24 Stunden in Schockstarre – denn dieser Stachel sitzt zugegebenermaßen sehr tief: Die Bürger der Freien und Hansestadt Hamburg haben sich beim Referendum knapp gegen eine Bewerbung ihrer Stadt um die Olympischen Spiele 2024 ausgesprochen. Rund 52 Prozent der abgegeben Stimme entfielen auf „Nein“ und zwangen damit den Ersten Bürgermeister Hamburgs, Olaf Scholz (SPD), zu einem ehrlichen, aber tief enttäuschendem Bekenntnis: „Hamburg wird sich nicht für die Olympischen Spiele 2024 bewerben.“ Und auch nach einer Nacht drüber schlafen springen weder Frank Elstner, noch Jan Böhmermann oder Guido Cantz ums Eck und rufen samt versteckter Kamera „Verstehen Sie Spaß?“.

 

Feuer und Flamme in Hamburg

Feuer und Flamme in Hamburg

Worauf wir hinaus wollen und was bitte im ganzen Trubel nicht untergehen darf: Das waren auch unsere Spiele. Ein „NOlympia“ ist gleichzeitig auch ein Nein zu den Paralympischen Spielen an der Elbe. Selten zuvor hatte der Behindertensport innerhalb einer Bewerbung einen nahezu identischen Stellenwert zum Nicht-Behinderten-Sport. Egal ob Floorball, Blindenfußball oder eben Rollstuhlbasketball – diese Spiele hätten Hamburg nachhaltig verändern können. Auf dem Kleinen Grasbrook war ein vollständig inklusiv geplanter Stadtteil geplant. Spitzensportler aus allen Bereichen lobten das Konzept der kurzen Wege, die BG Baskets Hamburg und Ex-Rollstuhlbasketballerin Edina Müller waren Zugpferde und gleichzeitig Aushängeschilder einer nahezu einzigartigen und vorbildlichen Bewegung, bei der sich Inklusion vom Buzzword zu einem anfassbaren und vielfältigen Begriff wandelte. “Olympia ist eine historische Chance”, betonte Thilo von Trott, Vorstandsmitglied der Stiftung Alsterdorf, „wir alle haben ein gemeinsames Ziel: Inklusiver Sport, an dem alle gleichberechtigt und vollumfänglich teilnehmen.”

Die Tageszeitung „Die Welt“ titelte sogar von den Paralympics als bestes Olympia-Argument. In seinem Artikel sprach Welt-Redakteur Olaf Dittmann davon, dass bei einem „Nein“ gegen Olympia und einer implizierten Nachfrage nach dem „Warum“ ein Ja an die Paralympics gehen muss. Schließlich wolle man nicht als Verhinderer des Behindertensports da stehen. Übrigens: Kaum Olympia-Gegner in Hamburg thematisierten genau diesen Sachverhalt. Warum eigentlich? Dann doch Angst, etwas Falsches zu sagen? Schließlich sind die Paralympics seit 1992 in Barcelona eng mit dem weltweit größten Sport-Event verknüpft. 2012 in London übertrugen ARD und ZDF den Behindertensport in deutsche TV-Haushalte, Deutschlands Rolli-Damen feierten vor knapp 10.000 Zuschauern die Gold-Medaille in der o2 World. Bis heute haben wir Gänsehaut und leuchtende Augen bei diesem Moment.

Gesicht der Hamburger Bewerbung: Edina Müller

Gesicht der Hamburger Bewerbung: Edina Müller

Am Ende jubeln die Olympia-Gegner, die natürlich auch Paralympics-Gegner sind. Sie sind keine Verhinderer des Behindertensports, sie sind auch keine Verhinderer des Sports im eigentlichen Sinne. Ja, sie haben dazu beigetragen, eine einmalige Chance in Hamburg Wirklichkeit werden zu lassen. Und glaubt man den Experten, ist diese Chance in diesem Jahrhundert vertan. Das gilt für die Paralympics genauso, wie für Olympia. Aber hey, regt euch künftig bitte nicht darüber auf, dass die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar oder Russland stattfindet und das liebe Geld diese Entscheidung diktiert hätte.

Was unterm Strich bleibt, ist ein sehr gutes Gefühl. Trotz dem vernichtenden Nein. Warum? Weil es auch unsere Spiele waren. Es hätten nicht unsere Spiele werden können oder sollen, es gab kein Konjunktiv, kein Hätte-Hätte-Fahrradkette, kein sinnfreies Bla-Bla. Die Paralympics waren in Hamburg nicht bloß ein Anhängsel, sondern ein wichtiger und prominenter Teil der Bewegung. Diese Spiele gehörten dem Behindertensport genau wie allen anderen. Wir waren und sind Feuer und Flamme.

 

 

 

 

Leave a Reply