Bericht aus Rollt. #18 | Der Rollstuhlbasketball-Fan, neutrale Zuschauer und antiquierte Übungsleiter muss sich von seinem tradierten Weltbild des klassischen Lowpointers – auf diesem Globus und in der RBBL – verabschieden. Die meist tiefsitzenden Herrschaften kann und darf der Außenstehende nicht in irgendwelche Boxen, Schubladen oder veralteten Denkmuster packen, wie es der angesehene kanadische Trainer Mike Frogley einfordert. Kaum eine Position im Rollstuhlbasketball hat sich in den letzten Jahren so dynamisch gewandelt, wie die des Lowpointers. Wir haben bei internationalen Trainer, Spielern und Meinungsbildnern nachgefragt, wie sie die Rolle der niedrigpunktigen Akteure wahrgenommen haben und aktuell sehen, welche Eigenschaften ein exzellenter 1,0- bis 2,0-Punkte-Spieler mitbringen muss und wie sich das Spiel der Athleten in Zukunft verändern wird.
Neben den ausländischen Größen kommen auch Marco Hopp sowie Bundestrainer Nicolai Zeltinger zu Wort, um euch ein rundes, umfassendes und informatives Bild über den Status quo der „Niedrigpunkter“ zu liefern.
Generalist statt Spezialist
Fakt ist, liebe Rollstuhlbasketball-Freunde, dass sich das klassische Lowpointer-Rollenverständnis in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren gewandelt und stark verändert hat. Vom klassischen „Wasserträger“, „Blocksteller“, Spezialisten und „Sealer“, hin zum Multifunktionsspieler und Generalisten, der verteidigen, sicher scoren und die gegnerischen Center in allen Lagen fordert und sich mit den Highpointern in den eigenen Reihen im Training misst und duelliert. Weltklasse Niedrigpunkter besitzen zudem ein Auge fürs Spiel, Aufbau-Qualitäten, enormen Speed, hervorragende Chairskills sowie ein sicheres und ausgeprägtes Ballhandling. Auf einem hohen Leistungsniveau setzen Abdi Jama & Co. wichtige Akzente und Impulse im Angriff und der Verteidigung. Mehr noch: Weltklasse Lowpointer prägen und verkörpern das Spiel, wie es Jama, der englische Nationalspieler mit somalischen Wurzel, aktuell tut oder die ehemalige deutsche Nationalspielerin Annika Zeyen in ihrer aktiven Zeit tat. Beide haben die Position geformt, das Spiel neu definiert und neue Maßstäbe gesetzt, die jungen Spielern als Messlatte und Vorbild dienen können.
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Ian Lynch (1.0) | U.S. Nationalspieler
Wie hat sich die Rolle eines Lowpointers in den letzten 15 bis 20 Jahren im Vergleich zu heute verändert?
Lowpointer scoren heutzutage viel öfter und sind Generalisten statt Spezialisten, die früher nur eine Aufgabe oder Rolle auf dem Court übernommen haben. Hinzu kommt, dass du aktuell viele niedrigpunktige Spieler findest, die mit dem einem gute Ballhandling ausgestattet sind und eine hervorragende Wurf besitzen.
Warum hat sich deiner Meinung nach die Rolle verändert?
Einen großen Einfluss auf die Entwicklung Rollenverständnisses hat die technologische Entwicklung. Die Sportrollstühle bieten heutzutage einen viel besseren Halt und können leichter manövriert werden. Hinzu kommt, dass die Sportgeräte mehr Halt bieten und sich die Spieler besser strappen können, was gleichbedeutend mit mehr Stabilität im Stuhl ist.
Was zeichnet einen Lowpointer auf Weltklasseniveau aus?
„Exzellente Lowpointer müssen in der Lage sein, Highpointer zu verteidigen. Sie sind wachsam und leisten ihren Beitrag im Angriff, vor allem dann, wenn sie aus den Augen gelassen werden. Gerade dann müssen sie zu einer offensiven Bedrohung werden und punkten.
Gibt es Übungen oder Drills, die dir geholfen haben, dein Spiel zu entwickeln und zu verbessern?
Ich arbeite stetig daran, meine oberen Rückenbereich zu stärken und mein Stuhlkontrolle und die Chairskills im Allgemeinen zu optimieren. Auf dem Court läuft das Training darauf hinaus, meine Abschlussqualitäten in der Zone zu verbessern.
Matt Byrne (1,5) | Ehemalige britischer Nationalspieler
Wie hat sich die Rolle eines Lowpointers in den letzten 15 bis 20 Jahren im Vergleich zu heute verändert?
Die Rolle des Lowpointers hat sich in der Tat stark gewandelt, was auf verschiedene Gründe zurückzuführen ist. Der Stuhlaufbau ist ein wesentlicher Faktor, da es früher keine Kippräder und Straps gab. Heute können sich die Spieler den Rollstuhl besser auf ihre Bedürfnisse anpassen lassen, was Umkehrschluss zu einer höheren Mobilität und Stabilität führt. Des Weiteren stellen viele Spieler unter Beweis, dass sie auch große Gegenspieler verteidigen können und auch im Angriff eine Bedrohung sind, statt – wie früher – reine Arbeitstiere. Hinzu kommt, dass das Bild früher vom klassischen „Spina-bifida-Lowpointer“ mit einem hohen „Lähmungsgrad“ geprägt war, während in der jetzigen Zeit auch etliche Athleten mit voller Rumpfkontrolle und fehlenden Gliedmaßen, wie fehlenden Hände, Fingern und Armen in den Teams zu finden sind.
Was zeichnet einen Lowpointer auf Weltklasseniveau aus?
Weltklasse-Lowpointer können finishen, sind fit, stark und hervorragend und gut darin, das Spiel zu lesen. Sie können schießen und sind auch in der Lage die 4,0- und 4,5-Punkte-Spieler zu verteidigen. Ein Lowpointer muss einfach Abschlussqualitäten besitzen und vielseitig sein. Kann er verteidigen und in der Offense Akzente setzen, ist er Gold wert.
Gibt es Übungen oder Drills, die dir geholfen haben, dein Spiel zu entwickeln und zu verbessern?
Ich habe viel „One on One“ gegen Colin Price (Anm. d. Red.: Kapitän der britischen Rollstuhlbasketball-Nationalmannschaft von 1995 – 1999) gespielt. Es ist einfach wichtig, dass du über dein Limit gehst und deine Komfortzone verlässt. Der Abschluss „in the paint“ und ein variabler Wurf, auch unter Druck, gehören genauso dazu, wie gute und schnelle Entscheidungen zu treffen.
Dan Price (1,0) | Co-Trainer der britischen Damen-Nationalmannschaft
Wie hat sich die Rolle eines Lowpointers in den letzten 15 bis 20 Jahren im Vergleich zu heute verändert?
Die Rolle des Lowpointers hat sich die letzten Jahre verändert. In der Vergangenheit waren die niedrigpunktigen Spieler nicht annähernd so schnell wie heute. Ihnen wurde auch nicht die Aufmerksamkeit zuteil, die sie aktuell bekommen. Lowpointer sind heutzutage auch vielmehr eine „Bedrohung im Angriff“ und verteidigen die Highpointer an allen Ecken und Enden des Courts.
Glaubst du, dass die Rolle des Lowpointers auch in Zukunft weiterentwickeln wird?
Ja, die Rolle der 1,0- bis 2,0-Punkte-Spieler wird sich wandeln und weiterentwickeln, insbesondere bei den Damen, die mehr und härter trainieren, als es noch vor zehn Jahren der Fall war. Um ein exzellenter Lowpointer zu sein, benötigst du Speed, eine ausgeprägten Basketball-IQ, Weltklasse Chairskills und du musst die einfachen Korbleger versenken und dein Würfe treffen.
Was zeichnet einen Lowpointer auf Weltklasseniveau aus?
Ganz einfach, sie müssen verteidigt und ständig bewacht werden. Als Gegenspieler kannst du sie nicht einfach aus den Augen lassen. Sie müssen so gut sein, dass du die Angriffe nicht ständig auf ihrer Verteidigungsseite fährst.
Mike Frogley (1,0) | Canada National Academy Director and Headcoach
Wie hat sich die Rolle eines Lowpointers in den letzten 15 bis 20 Jahren im Vergleich zu heute verändert?
Zur damaligen Zeit wurden die Lowpointer eher als „Picker und Sealer“ gesehen, also als Spezialisten, die so etwas wie eine kleinen bzw. minimale Bedrohung außerhalb der Zone darstellten. Die vermeintlich starken 4,0- und 4,5-Punkte-Spieler waren es, die das Spiel prägten.
Worin siehst du die aktuelle Aufgabe des Lowpointers?
Top 1,0- und 1,5- Punkte-Spieler machen mehr als nur Blöcke stellen und den Sealer zu mimen. Sie besitzen ein hervorragendes Ballgefühl, punkten, verteidigen auch weit außerhalb der Zone und nehmen Schüsse aus der Distanz, statt mit dem Korbleger abzuschließen. Die Topteams bei den Paralympics in Tokio 2020 werden von Baseline zu Baseline verteidigen und auf dem ganzen Feld präsent sein, so dass die Rolle des Lowpointers vielfältiger werden muss, um mit diesem Spielstil und der Geschwindigkeit mithalten zu können.
Woran machst du fest, dass die klassische Rolle des Lowpointers gewandelt hat?
Zu nächst einmal haben sich die Regel geändert. Vor Jahren noch hattest du 30 Sekunden Zeit einen Angriff anzuschließen und zehn Sekunden Zeit deine eigene Hälfte zu verlassen. Jetzt haben die Mannschaften nur noch 24 Sekunden Angriffszeit und acht Sekunden, um in des Gegners Spielhälfte zu gelangen. Dies hat Rollstuhlbasketball schneller gemacht, was wiederum von den Verteidigungsreihen fordert, dem Gegner Angriffszeit zu stehlen und überall präsent zu sein.
Dann wäre da der Sportrollstuhl, der sich verändert hat. Die zusätzlichen Rollen am Stuhl erlauben es den Spielern, die Radstellung schneller zu ändern, sich zügiger und einfacher zu bewegen, und zwar ohne Gefahr laufen zu müssen, nach hinten umzukippen. Des Weiteren können sich die Athleten weiter nach hinten lehnen um zu verteidigen, um zu werfen oder Rebounds abzugreifen. Mehr Straps sorgen zudem für zusätzliche Stabilität, was das Spiel der Lowpointer eindeutig verbessert hat.
Auch muss gesagt werden, dass die Spieler athletischer geworden sind. Sie trainieren mehr und haben im Gegensatz zu früher bessere Möglichkeiten uns Ressourcen.
Und zu guter Letzt sind da die Trainer, deren Wissen und Know-how sich stetig verbessert und ausgeweitet hat. Coaches wissen, wie sie Lowpointer trainieren müssen. Früher war das alles eher auf Fußgänger-Basketball zugeschnitten und auf die Highpointer abgestellt.
Was zeichnet einen Lowpointer auf Weltklasseniveau aus?
Lowpointer sind smart, lesen das Spiel bis zum Abschluss. Wichtig ist, dass sie die Rolle des Bewachers übernehmen und Spieler mit einer höheren Klassifizierung verteidigen können. Ist ein niedrigpunktiger Athlet in der Lage eine Mid- oder Highpointer zu verteidigen, kreiert er dadurch ein Verteidigungsmissmatch irgendwo auf dem Feld.
Gibt es spezielle Übungen, die du magst oder Lowpointern empfehlen würdest?
Wir trainieren immer ausgewogen. Mein Ziel ist es, nicht so starr zu sein, dass ein bestimmter Bereich zu sehr trainiert resp. übertrainiert wird. Lowpointer machen dieselben Übungen wie die 4,0- und 4,5-Punkte-Spieler. Des Weiteren müssen sie, wie alle anderen Spieler auch, sowohl mit links als auch mit rechts auf unterschiedliche Art und Weise abschließen können. Um es anders zu formulieren: „Don’t put them (low pointers) in a box.“
Jim Palmer (1,0) | U23 Weltmeister mit Großbritanninen
Wie hat sich die Rolle eines Lowpointers in den letzten 15 bis 20 Jahren im Vergleich zu heute verändert?
Ja, zu 100%. Die Rolle hat sich über die Jahre gesehen stark verändert. Aktuell gibt es viele Lowpointer, die mit dem Ball umgehen können, die scoren können und die es auch mit einem Big Man aufnehmen bzw. diesen verteidigen. Auch verändert sich das Bild dahingehend, dass sie nicht ausschließlich dafür eingesetzt werden, dass die anderen Spieler die Punkte machen.“
Kannst du das noch spezifizieren?
Die Aufgabenverteilung hat sich, wie auch der Basketball in Gänze, entsprechend verändert. Das „transition game“ bzw. schnelle Umschaltspiel erfordert flotte und ballsichere Spieler, und zwar unabhängig von der reinen Klassifizierung. Als Sportler musst du dich und deinen Stil einfach der veränderten Spielweise anpassen, um auf Weltklasseniveau spielen zu können. Ich denke ferner, dass sich das in den kommenden Jahren noch weiterentwickeln und verstärken wird.
Was unterscheidet deiner Meinung nach eine Lowpointer mit Weltklasse-Format von einem „Durchschnitts-Lowpointer“?
Um ein exzellenter Lowpointer zu sein, musst du jedes „Match-up“ überall auf dem Court aufnehmen, auch wenn dies nur für ein paar Sekunden ist. Denn dadurch schaffst du einen Mehrwert für dein Team, da es schneller „switchen“ oder die Verteidigung neu sortieren kann. Ich bin auch der Meinung, dass du deine „Layups“ stets verwertest und auch sonst deine Würfe triffts. All dies setzt die gegnerische Verteidigung unter Druck, da sie alle fünf Spieler auf dem Feld verteidigen muss.
Hast du spezielle Übungen oder Drills, die trainierst?
Als Spieler mag ich ganz besonderes Verteidgungs-Drills, in denen ich mich gegenüber größeren Gegenspielern behaupten muss. Das setzt mich unter Druck und fordert mich, eine noch bessere Verteidiger zu werden.
Gibt es Spieler, die die Rolle des Lowpointers mitgeprägt haben?
Ja, für mich ist das Abdi Jama, der den Wandel auf der Position des Lowpointers mitverkörpert. Er ist ein echter Allrounder und kluger Verteidiger, der regelmäßig Punkte abliefert und einnetzt.
Jitske Visser (1,0) | RSB Thuringia Bulls & Europa- und Weltmeisterin mit den Niederlanden
Wie beurteilst du die Entwicklung auf der Lowpointer-Position in den letzten Jahren?
Auf europäischer Klub-Ebene sowie in gemischten Ligen sorgten die Lowpointer meist nur für den notwendigen Raum auf dem Feld, und die Damen spielen oftmals nur aufgrund des Frauenbonus, der es den Trainern erlaubt, mit vier großen Spielern zu agieren. Dies hat sich geändert, denn die Frauen werden immer mehr zu einer echten Gefahr für den Gegner und leisten einen wertvollen Beitrag zum Spiel. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass sich das Spiel entwickelt hat, weg von der Rolle des reinen „Blockstellers“ und Sealers. In dieser Rolle ging nur selten Gefahr von den niedrigpunktigen Athleten aus. Inzwischen sind wir eine echte Bedrohung, da es immer mehr von uns gibt, die als Guard spielen und einen wesentlichen Beitrag in der Offensive und Defensive leisten. Des Weiteren geht von den niedrig klassifizierten Basketballern auch eine echte Korbgefahr aus, was das Spiel an sich verändert, da uns die Gegenspieler nicht mehr einfach so ignorieren dürfen. Und wir nehmen es in der Verteidigung auch mit den Highpointern auf, was dem Rest des Teams Vorteile in der Defense verschafft.
Gibt es Lowpointer, die das Spiel verändert bzw. mitgeprägt haben?
Für meinen Teil hat Annika Zeyen die Rolle des Lowpointers im Damenbereich stark mitverändert. Sie war eine Bedrohung in der Offensive und konnte Spielerinnen mit einer höheren Klassifizierung verteidigen. Und sie füllte die Rolle des Guards aus. Bei den Männern ist es sicherlich Abdi Jama, der das Spiel geprägt hat und prägt.
Statements aus Deutschland
Das große Stimmungsbild, das wir bis zu diesem Punkt mit Meinungen aus dem Ausland bzw. den Aussagen ausländischer Spieler und Coaches gefüttert haben, möchten wir mit zwei Statements aus Deutschland abrunden, um allen Interessierten und Fans eine möglichst breitgefächerte Sichtweise auf das Thema zu bieten. Neben Bundestrainer Nicolai Zeltinger, kommt auch der „Anecker“ Marco Hopp zu Wort, der in seiner offenen und direkten Art seinen Blickwinkel auf die Rolle der Lowpointer zum Besten gibt.
Marco Hopp | Ex-Headcoach Rhine River Rhinos Wiesbaden
Wie würdest du die Entwicklung der Lowpointer in den letzten zehn bis zwanzig Jahren beschreiben? Und welche Rolle werden Sie zukünftig spielen?
„Ich sehe die Entwicklung in Deutschland sehr kritisch. Auf der einen Seite muss die Aufstellung passen, dass ein Lowpointer überhaupt noch das Feld sieht. Auf der anderen Seite wird im Ligaspielbetrieb mittlerweile mehr und mehr auf Lowpointerinnen bzw. weibliche Lowpointer zurückgegriffen. Dies ist, so glaube ich, der generellen Entwicklung geschuldet, in der unsere guten Lowpointer nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Wir haben die eine oder andere Ausnahme, wie z. B. einen Nico Dreimüller (2,0) und einen Christopher Huber (1,0) in Wetzlar, ein Philipp Schorp (1,0) in Hannover oder auch ein Matthias Heimbach (1,0) in Trier, der leider seine Nationalmannschaftskarriere beendet hat. Danach wird es langsam sehr dünn im Lowpointer-Bereich. Woran liegt das? Ein Grund ist die persönliche Motivation des einzelnen, einfach etwas mehr zu tun, als nur das Team- und Vereinstraining aufzusuchen und das geforderte Pensum abzuspulen. Ein weiterer Grund liegt in der Ausdauer und der Geduld, sich durchbeißen zu wollen, zu kämpfen und die gebotene Chance zu nutzen. Andererseits muss ehrlich gesagt werden, dass es hier und da an der Zeit und der Geduld fehlt, die Lowpointer richtig und gut auszubilden und zu fördern. Dies lässt sich auch an der Arbeit einzelner Vereins- und Bundestrainer ablesen. Wer nimmt sich wirklich noch die Zeit für die Belange der Spieler? Wer empfiehlt Spieler weiter? Wie motiviere ich Lowpointer etwas mehr zu tun, um wirklich auf ein internationales Niveau zu kommen? Bringst du als niedrigpunktiger Athlet kein Talent und eisernen Willen mit, dann bleibst du aktuell auf der Strecke.“
Nicolai Zeltinger | Nationaltrainer Herren
Wie hat sich die Position bzw. die Rolle des Lowpointers entwickelt?
Ich erwarte von Lowpointern heutzutage ein gehörige Portion Athletik. Vor 25 Jahren habe ich noch gelernt, ohne das despektierlich zu meinen, dass ein Lowpointer nur per Bodenpass angespielt werden soll. Dies habe ich, als ich 1995 Spielertrainer wurde, abgelegt. Je mehr wir diese Spieler pushen, umso mehr können sie sich entwickeln.
Im Athletikbereich hat sich viel getan. Wir brauchen niedrigpunktige Spieler, die deutlich schneller werden. Wir sehen immer noch, dass uns andere Nationen, wie z. B. die Australier, eine Ecke voraus sind. Sie sind extrem gut mit und im Rollstuhl und haben eine aggressive Fahrweise. Lowpointer mussten schon immer, auch aufgrund einer gewissen Rollenverteilung, viel für die Highpointer arbeiten. Was sich für den einen oder anderen ein bisschen diskriminierend anhören mag, da Lowpointer aufgrund dessen nicht so viele Punkte machen können. Wenn wir mit unseren Lowpointern zusammengearbeitet haben, konnten wir stets feststellen, dass dieser Spielertyp, wie beispielsweise eine Björn Lohmann, sehr intelligent war und ist. Sie haben immer noch für die großen Teamkollegen gearbeitet haben, aber diese Spielertyp „intelligenter Arbeiter“ macht eben den Unterschied aus. Als Beispiel will ich das Paralympicsfinale 2008 nennen. Große Namen wie Patrick Anderson, Joey Johnson, Justin Eveson, Brad Ness, Troy Sachs haben auf dem Court gestanden. Aber den Unterschied haben Michael Hartnett & Co. auf Seiten der Australier gemacht. In der Verteidigung ist meine Erwartungshaltung, dass die Lowpointer die hochpunktigen Spieler mal für drei Sekunden unter Kontrolle halten können. Sie können nicht einen 4,0-Punkte-Spieler die ganze Zeit ausschalten. Sie müssen es schaffen, über eine bestimmte Zeit, einen Gegenspieler zu limitieren.
Es ist aktuell zu sehen, dass Lowpointer auch gute Schützen sein können und sind. Sie nehmen eine wichtige Rolle ein, wenn sie auf ihrer Angriffsseite Gefahr ausstrahlen und aus der Distanz oder unter dem Korb scoren können.
Was macht einen Weltklasse Lowpointer aus?
Ein Weltklasse Lowpointer muss das Spiel lesen können, das richtige Timing besitzen, seine großen Spieler führen können, ein sehr guter Verteidiger und sehr schnell sein.
Ich bin immer sehr froh, wenn sie selbst gefährlich sind und diese Gefahr ausstrahlen, das heißt z. B. dass sie den Wurf aus der Mitteldistanz oder von der 3er Linie beherrschen. Und ganz wichtig: der sichere Abschluss per Korbleger die sich immer wieder im Spiel ergeben. Ob per Scoop, also Unterhand-Korbleger, oder mit der linken Hand und rechten Hand. Das sollten zum Rüstzeug gehören, da Lowpointer mehr und mehr von hinten verteidigt werden. Da muss der Athlet einen Unterhand-Korbleger beherrschen, um überhaupt den Wurf durchziehen zu können. Diese Punkte müssen möglichst sicher verwandelt werden. Hinzu kommt eine exzellente Passqualität links wie rechts.
In meinen Augen ebenfalls ganz wichtig ist die Stabilität im Stuhl. Wenn ein Lowpointer irgendwo auf dem Spielfeld mit Ball steht, ein 4,0-Punkte-Spieler Druck aufbaut und ihm erst einmal in den Rollstuhl reinfährt, damit der Lowpointer möglichst viel durchgeschüttelt wird, muss dieser sich schnell stabilisieren können, muss eine Hand am Greifring haben und muss mit der anderen Hand den Ball schützen. Und dies muss der Spieler mit links und rechts können.
Text: Martin Schenk / Recherche: Vanessa Erskine | Foto: Uli Gasper (www.uliphoto.de)