Arrogant sagen sie die einen, Respekt die anderen. Neidische Blicke und dumme Sprüche sind für Tan Caglar nichts Besonderes. Und zwar nicht, weil er im Rollstuhl sitzt und deshalb generell zwei Mal angeschaut wird. Der Spielmacher von Hannover United modelt, schauspielert, ist Weltrekordhalter und setzt sich zum Wohle des Rollstuhlbasketballs selbst gerne in Szene. Rollt. hat sich den extrovertierten 33-jährigen zum Interview geschnappt und fragt sich, was Inklusion eigentlich wirklich bedeutet.
Es ist mittlerweile an niedersächsischen Schulen ein fast schon alltägliches Bild. Schüler der Mittel- und Oberstufe schlurfen zum Sportunterricht und schauen nach dem Verlassen der Umkleide etwas dümmlich aus der Wäsche: Mitten in der Sporthalle sind 20 Rollstühle geparkt, Fußball oder Bodenturnen stehen also heute nicht auf dem Programm. Tan Caglar ist im Auftrag von Hannover United und dem Behindertensportverband Niedersachsen bereits an über 200 Schulen der Republik gewesen und stellt sein Sportgerät sowie seinen Sport vor: die Korbjagd im Rollstuhl. Und irgendwie auch sich selbst. „In der Liga sagen einige, ich wäre der Christiano Ronaldo des Rollstuhlbasketballs“, lächelt Caglar nicht ohne Selbstbewusstsein. Der 33-jährige weiß um seinen Ruf, aber auch um seine Qualitäten. „Natürlich wird man auch als Selbstdarsteller betitelt“, erklärt der Spielmacher von RBBL-Aufsteiger Hannover United, „aber für mich ist das pure Inklusion. Ich inkludiere mich als Behindertensportler in die öffentlichste Form der Gesellschaft.“
Ein Auftritt bei der VOX-Reihe „Mieten, Wohnen, Kaufen“ hier, Botschafter für den Rollstuhlsport in der Öffentlichkeit dort. Caglar modelt, geht feiern, flirtet und tut all das, was Fußgänger eben auch tun. „Ein Rollstuhlfahrer kann auch in die Disco gehen“, so Caglar, der gleichzeitig Pressesprecher seines Vereins ist. Die Krönung seiner bisherigen Karriere in der breiten Öffentlichkeit folgt im Herbst. Tan Caglar hat eine Rolle bei der beliebten RTL2-Serie „Berlin Tag und Nacht“ ergattert und spielt dort sich selbst. Einen Rollstuhlbasketballer. „Das ist ja schon etwas besonderes, denn in dieser Serie geht es eigentlich um Party machen oder diverse Affairen. Da passt ein Rollie-Fahrer doch eigentlich nicht rein“, freut sich der an einer Rückenmarkserkrankung leidende Sportler. Immerhin 1.2 Millionen Deutsche schalten bei der Doku-Soap ein.
Warum Caglar das ganze macht? „Ich möchte dem Sport, der mir so viel gegeben hat und mich aus einer persönlichen Krise herausgezogen hat, etwas zurückgeben. Jeder der mich kennen lernt, sieht Rollstuhlfahrer und den Rollstuhlbasketball danach ein Stück anders“, so der Playmaker im Trikot von Hannover United. Tan Caglar will weg vom Quotenbehindertensport. Weg vom Bedauern. Hin zur echten Barrierefreiheit. Genau aus diesem Grund hat der 33-jährige auch als Model gearbeitet und erhielt Anfragen von international bekannten Marken. „Ich habe das aus Trotz gemacht und wollte sehen was passiert, wenn jemand unperfektes in so eine perfekte Welt kommt.“ Trotz einer Rückenmarkserkrankung konnte Caglar bis zu seinem 20. Lebensjahr laufen und ging auf Korbjagd, seit nun rund vier Jahren hat er im Rollstuhlbasketball seine Passion gefunden und ist auf den Rollie angewiesen.
„Der Sport steht im Vordergrund. Wenn ich mich irgendwann zwischen dem Sport und der Schauspielerei entscheiden müsste, siegt ganz klar der Basketball“, stellt Caglar unmissverständlich klar. Der Sport sei ein Türöffner, nicht mehr. Dass man eine mehr als gelungene Aktion in der Öffentlichkeit wunderbar mit dem Rollstuhlbasketball verknüpfen kann, hat der Hannoveraner mit seinen Mannschaftskollegen bewiesen: Bei den „Guiness World Records“ hat er mit 24 anderen Rollie-Fahrern einen 50-Tonnen-Truck über 100 Meter gezogen. Alleine durch die Kraft der Mannschaft, die Kraft er eigenen Arme und die Möglichkeiten, die der Rollstuhl als Sportgerät bietet. Die Idee dazu kam dem RBBL-Aufsteiger im Training bei einer der zahlreichen Athletik-Übungen. „Wenn man unseren Kapitän Michael Möllenbeck ziehen muss, ist das eigentlich schon fast so, als würde man einen Truck ziehen“, lacht Caglar und vergibt den Spitznamen „Kugelblitz“ an seinen Teamkameraden.
Neider hin oder her – Tan Caglar ist Botschafter für den Rollstuhlbasketball, bringt die Randsportart ins Fernsehen, in die „normale“ Welt. Und wer weiß, wenn „Der Bachelor“ im Rollstuhl auf Frauenfang geht, ein behinderter Mensch bei „Big Brother“ einzieht oder Heidi Klum persönlich irgendwann ein Foto an ein Model wie Caglar vergibt, dann ist die Inklusion in Deutschland tatsächlich angekommen.
Text: Sven Labenz // Video: siehe YouTube-Kanal // Fotos: Charalampos Papadopolous