Nach dem Champions Cup in Hamburg habe ich die 🏀-freie Zeit genutzt, um mich mit Marcus Kietzer bei schönem Wetter in Erfurt zu treffen
Marcus, du hast 2015 im Interview mit Martin Schenk gesagt, dass die RSB Thuringia Bulls dem RSV Lahn-Dill das Leben schwer machen wollen. Am 16. April 2016, zu meinem Geburtstag, habt ihr dann zum ersten Mal den deutschen Meistertitel geholt. Wie war dieser Tag für dich?
Dass wir dem RSV das Leben schwer machen konnten, war ja bereits in den Hauptrundenspielen zu sehen. Ebenfalls wenige Wochen vor der Meisterschaft, als wir in der Lage waren, auch den Pokal zu gewinnen. Die wichtigste Trophäe ist aber natürlich der Meistertitel und nicht nur wir Spieler hatten auf diesen Tag gewartet. Wir hatten auch viel Unterstützung von Rollstuhlbasketball-Liebhabern, die zu diesem Zeitpunkt gern mal einen anderen Titelträger als den RSV Lahn-Dill sehen wollten.
Für mich persönlich war es ein sehr schöner Tag, da sich die sehr harte und konzentrierte Arbeit über die gesamte Saison ausgezahlt hatte und es mein erster und einziger Meistertitel war und ist. Außerdem war es großartig, den tollen Menschen, die sich das ganze Jahr über um das Team gekümmert hatten, etwas zurückgeben zu können. Denn diese waren die gesamte Saison über ebenso meisterlich wie wir.
Allerdings hatte ich in den entscheidenden Spielen wenig bis keine Einsatzzeiten, so dass es doch irgendwie ein komisches Gefühl war an diesem Tag, ohne auf das Spiel eingewirkt zu haben, Deutscher Meister geworden zu sein. Das sollte sich dann in der darauffolgenden Saison ändern. Deshalb war es für mich sehr schade, dass es da dann so knapp jeweils nicht für einen Titel gereicht hatte.
2017 war das erste Final Four der Champions League auf Teneriffa. Die RSB Thuringia Bulls waren als eine der besten vier Mannschaften Europas dabei. Seitdem spielst du nicht mehr aktiv. Was hat dich dazu bewogen aufzuhören? Und was machst du seitdem?
Als es Richtung Ende der Saison mit dem Final Four als Highlight ging, reifte in mir der Entschluss, mit dem professionellen Rollstuhlbasketball aufzuhören. Für mich stand der Sport immer an zweiter Stelle hinter meinen Freunden und meiner Familie. Und man muss sehr viel Zeit investieren, um auf dem hohen Niveau in der Bundesliga eine gute Rolle spielen zu können, insbesondere bei einem Spitzenverein wie den Bulls. Ich war deshalb, auch wegen der einstündigen Fahrstrecke und meist zwei Trainingseinheiten am Tag, nur selten zuhause.
Dazu hatte ich während der Saison mehrere Jobangebote erhalten, und die Offerte meines jetzigen Arbeitgebers hatte sich perfekt in meine Zukunftsplanungen eingefügt. Momentan arbeite ich drei Tage in der Woche als Sporttherapeut in einer ambulanten Rehaeinrichtung in meinem Wohnort Jena. Darüber hinaus bin ich noch als Dozent für „Kompetent Mobil“, einem Seminar der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege unterwegs. In diesem Zusammenhang erzähle ich gelegentlich an Schulen über mein Leben mit Querschnittlähmung und stelle dort auch den Rollstuhlbasketballsport vor. Das alles macht mir viel Spaß und hat mir den Ausstieg aus dem professionellen Rollstuhlbasketball erleichtert.
Am 05.05.2018 war in Hamburg das Champions Cup Finale. Die RSB Thuringia Bulls wurden Champions Cup Sieger. Du warst live dabei. Hast du es bereut, aufzuhören bei den Bulls?
Reue ist zu hart gesagt, denke ich. Wehmut ist aber definitiv vorhanden, und es kribbelt natürlich auch noch, wenn ich meinen ehemaligen Teamkollegen beim Spielen zuschaue. Ich würde sie gern häufiger sehen, stehe aber noch in regem Kontakt mit vielen. Und auch das Team herum vermisse ich. Im Endeffekt ist es aber immer, wenn ich nach Elxleben komme, als wäre ich nie weg gewesen. Daher genieße ich es sehr, dass das Motto „Wir sind ein Team!“ dort gelebt wird und – wie selbstverständlich – auch für die ehemaligen Spieler gilt.
Du hattest 2010 einen Unfall, seitdem sitzt du im Rollstuhl. Später hast du ein elektronisches Exoskelett benutzt und konntest damit wieder laufen. Was war das für ein Gefühl, wieder laufen zu können? Und nimmst du es heute auch noch?
Im Gegensatz zu vielen anderen ist für mich das Laufen im Exoskelett per se nicht das motivierende Element. Vielmehr sind es die medizinischen Vorteile, die es bei mir nach sich zieht. So habe ich gefühlt weniger Blaseninfekte, brauche nicht mehr so lange auf der Toilette und habe geringere Spastiken und Nervenschmerzen. Natürlich hinterlässt das Laufen trotzdem ein gutes Gefühl, und ich bin auch heute noch viel damit unterwegs. Ich bin daher gespannt wohin die Entwicklung dieser Geräte noch führt. Momentan bin ich noch auf Unterarmgehstützen angewiesen und hoffe, dass diese in Zukunft überflüssig werden. Damit würde man noch mehr Freiheiten gewinnen und das Laufen würde auch für mich wichtiger werden.
Du hast früher sehr viel Sport getrieben. Wie sieht heute dein Alltag aus? Was machst du heute beruflich und hast du noch Zeit um Sport zu treiben?
Sport ist auch immer noch ein zentraler Bestandteil meines Lebens. Außer der Reihe fahre ich gern Ski, gehe tauchen und handbiken. Ich habe zudem das Glück, nach meiner Arbeitszeit im Rehazentrum trainieren zu dürfen. Daneben bin ich ab und zu bei den Jena Caputs beim Rollstuhlbasketballtraining und, wenn es passt, auch bei den Spielen dabei.
Danach oder an meinen freien Tagen gehe ich zur Physiotherapie, treffe mich mit Freunden oder sitze bei gutem Wetter auf der Terrasse, im Park oder Freibad und entspanne.
Wie stellst du dir dein Leben in 20 Jahren vor?
Meine Frau und ich lassen momentan ein Haus in Jena bauen. Dementsprechend hoffe ich, dass wir mit potentiellem Nachwuchs glücklich zusammen in diesem Haus wohnen werden, viel Besuch von Freunden bekommen und noch genug Zeit und Geld für zahlreiche tolle Reisen übrig sein wird.
Vielen Dank für den schönen Nachmittag mit dir, und danke, dass du dir die Zeit genommen hast.
Text & Foto: Cassandra Rüger