Es herrscht Stille im Besprechungsraum des Sportlerheims. Kein Mucks ist zu hören. Zu sehen sind nachdenkliche Gesichter; Finger, die an die Schläfe tippen, und die eine oder andere in Falten gelegte Stirn. Was ist passiert? Ein Unglücksfall? Der Zwangsabstieg der ersten Mannschaft oder gar der Absprung eines großen Sponsors? Nein, ich habe dem Basketball-Abteilungsvorstand in meiner Funktion als Engagementberater – wie immer eigentlich – meine Eröffnungsfrage gestellt: „Was macht euch als Verein einzigartig?“
Und wie so oft waren die anwesenden Kümmerer und Vorstandsmitglieder erst einmal sprachlos und in sich gekehrt. Und genau hier liegt der viel beschworene Hase im Pfeffer. Klubs und Vereine wollen Sponsoren, wollen Helfer, wollen Aufstiege, wollen Erfolge und so weiter und so fort. Aber was den Klub einzigartig macht, wissen die wenigsten. „Wir machen ganz tolle Jugendarbeit!“, höre ich dann hier und da als Verlegenheitsantwort. Echt jetzt? „Das“, so meine Standardantwort, „machen die Jungs und Mädels aus der Nachbarstadt auch. Und die Fußballer, die Handballer, die Volleyballer.“ Natürlich möchte ich provozieren. Ich kann aber behaupten, dass mir in den vergangenen sieben Jahren als Engagementberater – aus der Pistole geschossen – kein Verein diese Frage beantworten konnte. Und das ist, ehrlich gesagt, mehr als schade. Viele Korbjäger-Vereinigungen verfahren nach dem Motto „Ich weiß zwar nicht, wohin wir wollen, aber ich kenne eine Abkürzung“. Die pure, sich immer wiederholende Selbstverwaltung des Vereins und des Spielbetriebs.
Ich will jetzt, der Einschub sei mir gestattet, auch keine Wortklauberei und -definition betreiben und an die Stelle der „Einzigartigkeit“, den „USP“, den „Purpose“, die „Philosophie“, die „Ziele“ oder die „Vision“ stellen. Damit dürfen sich Managementberater und die Gelehrten beschäftigen. Auch die sehr wichtige und wertvolle Vereinsarbeit an allen Standorten möchte ich nicht kleinreden, bloßstellen oder konterkarieren. Gott bewahre! Ich möchte einfach nur wachrütteln. Ein Brennglas liefern, das die meist ehrenamtlichen Energiestrahlen bündelt. Denn: Wie will ich als Basketball-Institution Menschen, Sportler, Sponsoren und potenzielle Freiwillige begeistern, wenn ich als Klub(-verantwortlicher) nicht einmal weiß, was mich von anderen Sportarten, anderen Vereinen und anderen Freizeitaktivitäten, zu denen ich in Konkurrenz stehe, abhebt? Ich bin austauschbar statt unverwechselbar. Ohne Identität kann ich kein Feuer und kein Brennen entfachen. Und genau das muss ich als Verein, wenn ich mein Umfeld für mich begeistern und zu Fans machen möchte.
Ein weiterer Nachteil der Ziellosigkeit ist, dass ich Energie, Kraft und Zeit vergeude, da ich die knappen Ressourcen für Aktivitäten nutze, die nicht mit meiner Einzigartigkeit matchen bzw. auf meine Vereinsziele einzahlen. Wie oft werden zum Beispiel irgendwelche Teams oder Altersklassen „mitgeschleppt“, die bei einem anderen Klub viel besser aufgehoben wären, da dort die Manpower und die Kompetenz vorhanden sind. Oder der Trainer, der seine Übungseinheiten aus Mitgefühl noch leiten darf, weil er das schon seit gefühlt 40 Jahren macht. Der Jugendcoach, von dem der Abteilungsvorstand sich schon längst hätte trennen müssen, weil das Beschwerdevolumen der Elternschaft die Größe eines Zeppelins angenommen hat. Da sich aber keiner um einen Nachfolger kümmert, darf er die Erziehungsberechtigten und die Teens weiter verärgern. Oder das Vorstandsmitglied ohne besondere Funktion – oft auch Beisitzer genannt. Er oder sie ist der fleischgewordene Tagesordnungspunkt „Sonstiges“. Wir wissen zwar nicht, welchen konkreten Beitrag er leisten soll, aber wir nehmen ihn mal mit auf. Na super.
Oft frage ich die Vereine und die Macher – und du bzw. ihr könnt das bei der nächsten Vorstandssitzung auch gern mal in den Raum werfen: Was gibt ihnen „Bedeutsamkeit“? Wo liegen die akuten Probleme der „Kunden“? Und wo die Stärken innerhalb des Vereins? Wer sind ihre „Lieblingskunden“? Moment mal: Lieblingskunden? Ja, ihr habt richtig gelesen. Diskutiert doch bitte mal, mit welchen Sportlern, Eltern, Sponsoren und Athleten ihr im Verein tatsächlich gerne und mit echter, brennender Leidenschaft arbeitet. Vergesst auch die klassische Definition von Leistungs- und Breitensport oder Mädchen- und Jungen-Basketball. Das sind feste Kategorien und Schubladen, in die auch Menschen passen, die nicht eurer Vereins-DNA entsprechen. Es geht um innere und nicht sichtbare Werte, die als Magnet fungieren und Mitglieder und Sportler anziehen, mit denen ihr aus tiefster und fester innerer Überzeugung gerne arbeitet. Oder, um es an einem Beispiel festzumachen: Ihr habt keinen Bock auf Helikoptereltern? Gut, dann fragt euch, welche Magnetstrahlen ihr aktuell aussendet, um solche Menschen anzuziehen, die dann wie Eisenspäne an euch hängen bleiben. Bevor in die Beratung mit dem Abteilungs- oder Vereinsvorstand eingestiegen und die „Einzigartig-Eingangsfrage“ gestellt wird, muss sichergestellt sein, dass die Klubspitze sich ehrlich reflektieren und sich alle in eine neue, ressourcenschonendere und attraktivere Richtung drehen möchten. Wir vom „Engagier dich!“-Team sprechen in diesem Zusammenhang von einer „ehrenamtsfreundlichen Organisationsstruktur“. Denn: Die Startrampe der Beratung bildet das Ja des kompletten Vorstands zum Projekt, zum Veränderungsprozess und zu einem ehrlichen Austausch.
Text: Martin Schenk – erschienen in BIG-Ausgabe #102 | Foto: Uli Gasper